- Krankenhaus Krankenhaus-Zukunfts-Konferenz der BVMed-Akademie | BVMed-Vorsitzender Lugan: „Mit smarten Lösungen Lieferengpässe vermeiden“
Lieferengpässen bei Arzneimitteln und Medizinprodukten in Krisenzeiten sollte „mit smarten digitalen Lösungen auf der Grundlage bestehender eStandards“ entgegnet werden. Das sagte der BVMed-Vorstandsvorsitzende Dr. Meinrad Lugan, Vorstand der B. Braun-Gruppe, auf der ersten digitalen „Krankenhaus-Zukunfts-Konferenz (KZK)“ der BVMed-Akademie am 25. Februar 2021. Der BVMed-Vorsitzende sprach sich für den Aufbau einer digitalen Bestandsplattform versorgungskritischer Arzneimittel und Medizinprodukte aus. Prof. Dr. Jens Scholz, Vorstandsvorsitzender der Uniklinik Kiel, plädierte beim Thema Digitalisierung für „mehr Datenautobahn und weniger Datenschutz“. Es sollte weniger reguliert und mehr auf die kreativen Kräfte der Akteure gesetzt werden. Im Fokus digitaler Lösungen müsse der Nutzen für Leistungserbringer und Patienten stehen. Gematik-COO Dr. Florian Hartge betonte, dass bei der Weiterentwicklung der Telematik-Infrastruktur eine solche nutzerzentrierte Betrachtung gestärkt werden soll. „Nicht die technischen Möglichkeiten stehen im Fokus, sondern der konkrete Nutzen für die Ärzte und Patienten.“ Nach Auskunft von BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll soll die Krankenhaus-Zukunfts-Konferenz des BVMed als eine Austauschplattform für Krankenhäuser, Einkaufsgemeinschaften und die Medizintechnik-Industrie etabliert werden.
PressemeldungBerlin, 26.02.2021, 20/21
Die Lieferketten-Probleme in der ersten Welle der Corona-Pandemie haben nach Ansicht des BVMed-Vorsitzenden Dr. Meinrad Lugan gezeigt, dass smarte, digitale Lösungen entwickelt werden müssen, um Lieferengpässe in Krisensituationen besser zu managen. Zu Beginn der Corona-Krise hätten vor allem spontane und multiple Bestellungen zu Lieferengpässen geführt. Außerdem kam es zu einer Kettenreaktion durch „protektionistische“ Aktivitäten einiger Staaten. Der BVMed-Vorsitzende schlägt deshalb eine „Digitale Bestandsplattform Versorgungskritischer Medizinprodukte“ vor. Denn, so Lugans Einschätzung: „Für über 80 Prozent aller kritischen Produkte gab es keinen Mangel, sondern ein Verteilungsproblem.“ Um das Verteilungsproblem zu beheben, „steht die Medizinprodukte-Industrie für smarte Lösungen bereit, um die Verteilung versorgungskritischer Medizinprodukte in Krisensituationen besser über eine Bestandsdatenbank mit offenen GS1-Schnittstellen unter Nutzung des eCl@ss-Systems zu organisieren“.
Lugan nannte sechs Entwicklungsschritte zur digitalen Bestandsplattform:
- Definition kritischer Arznei- und Medizinprodukte;
- Ermittlung von Produkten und Rohmaterialien mit fehlender EU-Produktionskapazität;
- Nutzung eines einheitlichen global eingeführten Produktidentifikations- und Klassifikationsstandards;
- Festlegung der Teilnehmer an der Bestandsplattform und Zugänglichkeit;
- Aufsetzen eines Pilotprojektes in einem Bundesland;
- Strategie zur Vermeidung von außereuropäischen Abhängigkeiten.
„Die Etablierung einer Bestandsplattform ist die einzige technisch bereits verfügbare Lösung des Verteilungsproblems sowie der permanenten Vorhaltung kritischer Produkte“, so Lugan abschließend.
Die aktuellen Entwicklungen bei der Telematikinfrastruktur (TI) in Krankenhäusern stellte Dr. Florian Hartge, Chief Operating Officer (COO) der Gematik, vor. Seit Juli 2020 sind das System „Kommunikation im Medizinwesen (KIM)“, der elektronische Medikationsplan sowie das Notfalldaten-Management nutzbar. Das KIM-System beinhaltet die Versendung eines elektronischen Arztbriefes über sichere Verfahren der Telematikinfrastruktur. Weitere Ausbaustufen umfassen einen Messenger-Dienst, eine Mobil-Anwendung sowie Videokonferenzen. Seit Januar 2021 können die Versicherten die Basisfunktionen der elektronischen Patientenakte (ePA) nutzen. Ab Juni 2021 wird das E-Rezept verfügbar sein, das ab Januar 2022 verpflichtend sein wird. Ab Januar 2023 soll die freiwillige Datenspende für die Forschung über die ePA möglich werden. Hartge beleuchtete auch das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) mit seinen umfassenden Fördermöglichkeiten. Ziel sei es, die Digitalisierung in den deutschen Kliniken voranzutreiben und die Binnendigitalisierung durch die Abbildung des gesamten Behandlungsprozesses zu stärken. Die Förderung umfasst Investitionen in die digitale Infrastruktur, in moderne Notfallkapazitäten, in die IT- und Cybersicherheit, aber auch in „Robotische Systeme und Telemedizin“ (Fördertatbestand 9). Bei der Weiterentwicklung der TI-Struktur setzt der Gematik-COO auf eine stärkere nutzerzentrierte Betrachtung. Nicht die technischen Möglichkeiten stehen im Fokus, sondern der konkrete Nutzen für die Ärzte und Patienten.
In einer gemeinsamen Talkrunde mit Beteiligten der Kliniken, der Einkaufsgemeinschaften und der Industrie ging es um die Potenziale einer gemeinsamen Datenerhebung und -nutzung.
Nach Adelheid Jakobs-Schäfer, Generalbevollmächtigte Einkauf und Logistik der Sana Kliniken, sind die Kliniken in der Digitalisierung noch sehr heterogen aufgestellt. „Deshalb braucht es dazwischen die Einkaufskooperationen, die die Daten konsolidiert vorliegen haben.“ Nach dem Schneckentempo vor Corona habe das deutsche Gesundheitssystem beim digitalen Wandel nun Tempo aufgenommen. „Aber wir müssen noch mehr die Verbesserung der Versorgungsqualität in den Fokus nehmen. Die digitale Transformation hinkt der Geschwindigkeit der Digitalisierung hinterher“, so Jakobs-Schäfer. Sie sprach sich für ein Gesamtkonzept aus, „was wir in der Patientenversorgung verändern und erreichen wollen und wie wir die Kompetenzen des medizinischen Personals entsprechend stärken können“. Reine Geschwindigkeit sei nicht alles. „Wir brauchen Prozessveränderungen und Interoperabilität der Daten. Wir brauchen datenbasierte Ansätze.“
Prof. Dr. med. Jens Scholz, Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, bezeichnete das KHZG als einen guten Start, um die Digitalisierung der Krankenhäuser zu stärken. Die verfügbaren Mittel würden aber nicht ausreichen, um die Rückstände aufzuholen. „Wir brauchen vor allem gute Lösungen für das medizinische Personal und die Patienten. Kliniken brauchen hier auf sie zugeschnittene Lösungen über Smartphones, nicht über aufzustellende Terminals in den Kliniken“, so Scholz. Er kritisierte, dass die Gematik noch immer zu stark auf die niedergelassene Arztpraxis fokussiert sei, aber nicht auf die Kliniken. Als hinderlich sieht der Krankenhauschef auch den „überbordenden Datenschutz“. Die überhöhten Datenschutz-Anforderungen in Deutschland seien nach wie vor „für Gesunde gemacht, nicht für Kranke“.
Auch aus Sicht des BVMed-Vorsitzenden Dr. Meinrad Lugan muss das TI-System „stärker auf Software fokussiert werden, nicht auf Hardware“. Digitalisierung habe nichts mit Hardware zu tun. „Wir brauchen keine Stecklösungen aus der Vergangenheit, sondern Software.“ Wichtig sei es, möglichst schnell eine gute Datenbasis zu gewinnen: mit guten Schnittstellen und Standards für alle Anwendungen. Die ePA könnte hier ein geeigneter Ansatz sein. Lugan setzte sich zudem für einen umfassenden Datenzugang der Industrie ein, „um Produkte für die Patienten und Entscheidungshilfe-Tools für die Anwender besser weiterentwickeln zu können“.
Thomas Simon, Senior Vice President HIS bei der CompuGroup, ging ebenfalls auf das Tempo der gesetzgeberischen Maßnahmen ein. Die Politik wolle jetzt das aufholen, was jahrelang versäumt wurde. „Wir stellen derzeit aufgrund der Fülle der Veränderungen und Aufgaben eine Überforderung des Systems und der Kliniken fest“, so Simon kritisch. Große Bedeutung habe der geplante Zugriff auf Daten des Datenforschungszentrums.
In den Nachmittags-Modulen der Krankenhaus-Zukunfts-Konferenz (KZK) ging es um „Beschaffung und Vernetzung“ sowie „Wertschöpfung und Qualität“. Neben Praxisbeispielen zur elektronischen Rechnungsstellung und der digitalen Transformation von Einkauf, Verkauf und Lieferketten im Gesundheitswesen ging es dabei auch um die IT-Sicherheit in Krankenhäusern sowie die Rolle von EUDAMED für „gesunde“ Stammdaten. Weitere Themenschwerpunkte waren die klinische Datenerhebung im Zuge der MDR, der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Krankenhaus sowie die Effektivität einer digitalen Supply Chain als Basis für Value-based Procurement (VBP) und Value-based Healthcare-Modelle (VBHC) am Beispiel der Robotik.