- MDR Konferenz zum Medizinprodukte-Recht / MdEP Liese: „Umfassende MDR-Revision auf dem Weg“
Der Europaabgeordnete Dr. Peter Liese sieht nach der Anhörung des ungarischen Gesundheitskommissar-Kandidaten im EU-Parlament eine umfassende Revision der EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) auf dem Weg. „Wir brauchen Verbesserungen so schnell wie möglich. Wir brauchen vor allem einen Bürokratieabbau, ohne die Sicherheit der Patienten zu gefährden“, sagte der Abgeordnete auf der BVMed-Konferenz zum Thema Medizinprodukterecht am 14. November 2024 in Frankfurt/Main, die insgesamt zum 30. Mal stattfand. Dr. Jana Knauer vom Bundesgesundheitsministerium kündigte an, dass der Rat der EU-Gesundheitsminister:innen (EPSCO) in seiner Dezember-Sitzung ebenfalls ein deutliches Signal für MDR-Verbesserungen setzen werde. Das Ministerium arbeite zudem an Bürokratie-Entlastungsmaßnahmen. Eine kurzfristige Maßnahme sei die breitere Anwendung von elektronischen Gebrauchsanweisungen (eIFU).
Expert:innen von MedTech-Unternehmen und Benannten Stellen forderten Verbesserungen bei der Umsetzung der MDR-Anforderungen. „Wir brauchen mehr Planbarkeit, Verlässlichkeit, Effizienz und Harmonisierung“, fasste BVMed-Expertin Dr. Christina Ziegenberg die Diskussion zusammen. Übergeordnetes Ziel müsse es sein, die Attraktivität des Medizinprodukte-Standorts Europa zu erhöhen und die CE-Kennzeichnung wieder zum Goldstandard zu machen.
PressemeldungFrankfurt/Main, 15.11.2024, 98/24
Der Europaabgeordnete Dr. Peter Liese, Koordinator der EVP im ENVI-Ausschuss des Europäischen Parlaments, sieht großen Änderungsbedarf bei MDR und IVDR (die Verordnung über In-vitro-Diagnostika) und wies darauf hin, dass das Europäische Parlament in einer aktuellen fraktionsübergreifenden Resolution auf eine schnelle Änderung der umstrittenen Medizinprodukteverordnung drängt. „Die EU-Institutionen sind weit übers Ziel hinausgeschossen, deswegen bin ich sehr froh, dass das Parlament sich ganz klar positioniert hat“, so Liese. Die MDR in ihrer gegenwärtigen Form sei „viel zu bürokratisch“. Wettbewerbsfähigkeit und Entbürokratisierung sei ein Aspekt. Wichtig sei es aber auch, darauf hinzuweisen, dass unter der MDR die Versorgung der Patientinnen und Patienten gefährdet sei. Als Beispiel nannte er die dramatischen Hinweise aus dem Bereich der Kinderkardiologie. Zu den weiteren Schritten erläuterte Liese, dass die MDR immerhin im Mission Letter der Kommissionspräsidentin genannt sei, „wenn auch nicht deutlich genug“. Deshalb enthalte die Resolution des Europäischen Parlaments die klare Forderung, die MDR zu verbessern. „Die Revision muss so schnell wie möglich kommen“, so Lieses Appell. Positive Signale sieht Liese in der Anhörung des Gesundheitskommissar-Kandidaten aus Ungarn. Er habe versprochen, in 2025 einen umfangreichen Vorschlag zur Revision der MDR zu unterbreiten.
Prof. Dr. Folker Spitzenberger von der Fraunhofer Einrichtung für individualisierte und zellbasierte Medizintechnik (IMTE) sowie der Technischen Hochschule Lübeck sieht den regulatorischen Rahmen für die MedTech-Branche immer im Spannungsfeld: Zwischen Innovationsförderung auf der einen sowie Sicherheit und Leistungsfähigkeit der Produkte auf der anderen Seite. Mit Blick auf die MDR „weisen zahlreiche Indikatoren darauf hin, dass die Regulierung von Medizinprodukten in der EU derzeit kein ausreichendes Gleichgewicht zwischen Sicherstellung des Patientenschutzes und Innovationsförderung gefunden hat“, so Spitzenberger. Insbesondere bei innovativen Technologien wie dem Einsatz von in-silico-Methoden, anatomischen Modellen oder künstlichen Intelligenz (KI) fehlen europäische Normen und regulatorisch verlässliche Auslegungen für das Konformitätsbewertungsverfahren. Und „in der EU fehlen dringend benötigte regulatorische Rahmenbedingungen für ‚Fast track‘-Verfahren in besonderen Notsituationen sowie harmonisierte Verfahren für die Handhabung, Einreichung und Bewertung der technischen Dokumentation“, bemängelt der Regulatory-Experte. Dabei seien gute regulatorisch-wissenschaftliche Lösungskonzepte vorhanden. Er plädierte dabei für einen stärkeren Austausch zwischen Expert:innen verschiedener Produktsektoren, die Berücksichtigung der Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung sowie eine verstärkte internationale Abstimmung.
Podiumsdiskussion zu aktuellen MDR-Fragestellungen
Wie geht es weiter mit der MDR und der Umsetzung der Anforderungen? Darüber diskutierten Expert:innen der Behörden, Benannten Stellen und Unternehmen im Rahmen einer Podiumsdiskussion.
Dr. Rainer Edelhäuser, Direktor der Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG), sieht in der Resolution des Europäischen Parlaments „gute Ansätze“. Vor allem scheine sich hinsichtlich einer realistischeren Zeitplanung die Vernunft durchgesetzt zu haben. Er plädierte für „evidenzbasierte Änderungen“ unter Einhaltung der „Better Regulation“-Ziele. Anstatt einem weiteren „Flickwerk“ sei ein zielgerichtetes Überarbeiten der Verordnung auf Basis einer klaren Richtung und gemeinsam angepassten Zielen wichtig. Dazu gehöre eine Analyse, welche Prozesse wie angepasst werden müssten. Sein Appell: „Was Aufwand bedeutet, aber keinen notwendigen Beitrag zu den definierten Zielen bringt, sollte weggelassen werden.“
Johannes Lieback, Geschäftsführer der Benannten Stelle Berlin Cert, bemängelte, dass die MDR-Umsetzung zu wenig planbar und die Auslegungen zu wenig harmonisiert seien. Es gebe insgesamt eine große Unsicherheit im Markt, was besonders für Start-ups schwierig sei. Man müsse weg vom derzeitigen System der „reinen Absicherung“. Liebacks Forderung: „Wir brauchen klarere Leitplanken, um bessere Entscheidungen zu treffen. Das System muss effizienter werden.“
Natascha Jezyschek, Medical Global Regulatory Affairs Manager beim Zertifizierer DEKRA, stimmte dem zu. Die Effizienz des Systems müsse erheblich verbessert werden. Die Planbarkeit leide vor allem darunter, das nationale Behörden Anforderungen aus der MDR unterschiedlich auslegen. „Wir kommen hier nur durch gute Kommunikation mit den Behörden und den Unternehmen zu gemeinsamen Lösungen“, so Jezyschek.
Barbara Lengert, Senior Manager Regulatory Affairs DACH bei Johnson & Johnson Medical und Sprecherin des BVMed-Arbeitskreises Regulatorische Angelegenheiten (AKRA), bezeichnete es aus Sicht der MedTech-Unternehmen als wichtig, im intensiven Austausch mit den Benannten Stellen bleiben. Sie plädierte zudem dafür, dass in den Verfahren stärker „Real World Evidence“, also echte Versorgungsdaten beispielsweise aus medizinischen Registern, einbezogen werden müssten.
Prof. Dr. Wolfgang Lauer, Abteilungsleiter Medizinprodukte beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), wies auf die Beratungsgespräche seiner Behörde hin. „Wir müssen die direkte Kommunikation verbessern. Kommen Sie auf das BfArM zu, um Probleme gemeinsam zu lösen und Missverständnisse zu vermeiden“, so Lauer.
Dr. Jana Knauer, stellvertretende Referatsleiterin Medizinproduktesicherheit im Bundesgesundheitsministerium, sagte zu, mit den MedTech-Verbänden und den Herstellern im Dialog zu bleiben. Die konkreten Vorschläge der Verbände zur Verbesserung der MDR würden gehört und ausgewertet werden. Sie hob positiv hervor, dass das zum 30. Oktober 2024 in Kraft getretene Medizinforschungsgesetz (MFG) auch die Rahmenbedingungen für die Entwicklung, Zulassung und Herstellung von Medizinprodukten verbessere. So sei unter anderem die Errichtung einer „Spezialisierten Ethik-Kommission für besondere Verfahren“ vorgesehen.
Weitere Themen: QMS, Betreiberverordnung, Notifizierungspflicht und EUDAMED
Die BVMed-Konferenz warf zudem einen internationalen Blick auf die für die Medizintechnik-Branche wichtige Qualitätsmanagementnorm ISO 13485, aktuelle Neuigkeiten über die deutsche Gesetzgebung im Bereich der Betreiberpflichten und die aktuellen Zeitpläne für die europäische Datenbank EUDAMED.
Berater Randolph Stender von NSF PROSYSTEM beleuchtete die Bedeutung der Normungsarbeit am Beispiel der Qualitätsmanagementsysteme (QMS). Nach der MDR muss jeder Hersteller ein QM-System etablieren. Die Anforderungen der MDR an die Elemente eines QMS, beispielsweise dem Risikomanagement oder einem System zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen, sind dabei sehr hoch. Die standardisierte Norm ISO 13485 hat hier eine große Bedeutung für die MedTech-Branche und nach aktuellen Umfragen zu „hoher Zufriedenheit“ in der Branche geführt. Der Hersteller muss dabei zunächst die anwendbaren regulatorischen Anforderungen identifizieren und diese in ihr Qualitätsmanagementsystem einbinden. Er beantragt dann bei einer Benannten Stelle die Bewertung seines Qualitätsmanagementsystems. Die Benannte Stelle führt dazu ein Audit des Qualitätsmanagementsystems durch, um festzustellen, ob es den Anforderungen entspricht. „Wendet der Hersteller eine harmonisierte Norm oder eine Spezifikation für Qualitätsmanagementsysteme an, so bewertet die Benannte Stelle die Konformität mit diesen Normen oder dieser Spezifikation“, erläutert Stender. Die Norm bietet damit für die Hersteller viele Vorteile.
Esther Kneuper, stellvertretende Referatsleiterin Medizinprodukterecht im Bundesgesundheitsministerium (BMG), stellt den aktuellen Stand der Arbeiten an der neuen Medizinprodukte-Betreiberverordnung vor. Im Rahmen der Evaluierung im Jahr 2022 wurden von Leistungserbringern und Krankenkassen Probleme bei der Umsetzung gemeldet, die in die Überarbeitung der Verordnung durch das BMG einflossen. In seiner Sitzung am 5. Juli 2024 stimmte der Bundesrat der Verordnung zu – allerdings „nach Maßgabe der sich aus dem Beschluss ergebenden Änderungen“. Das BMG kann die Verordnung nur bei vollständiger Übernahme aller Maßgaben erlassen. Das Problem: § 9 Absatz 1 MPBetreibV sieht ein Verwendungsverbot für nach Artikel 17 Absatz 2 MDR aufbereitete Einmalprodukte vor. Dieses Anwendungsverbot kam für die Betroffenen überraschend, so Kneuper. Eine Anhörung der beteiligten Kreise zu der weitreichenden Regelung sei nicht erfolgt. Das BMG habe daher entschieden, die Verordnung zunächst nicht zu verkünden, sondern mit den Ländern kurzfristig über eine Änderung des § 9 zu verhandeln. Der Kompromiss sieht die Rückkehr zum Rechtsrahmen des bestehenden § 8 Absatz 4 bis 7 MPBetreibV vor. Die Verordnung soll nun im Februar 2025 erneut im Bundesrat beraten werden und voraussichtlich im März 2025 in Kraft treten. Anpassung in der Betreiberverordnung gibt es unter anderem bei den Begriffsbestimmungen zu Benutzer:innen und Versorgenden, bei den Betreiberpflichten oder der Instandhaltung von Produkten. Kneuper betonte, dass die Betreiberverordnung stetigen Veränderungen unterworfen sei. Weitere Anpassungen werden unter anderem aufgrund der KI-Verordnung erforderlich. In fünf Jahren solle es eine Evaluierung der bestehenden Regelungen geben.
Den aktuellen Stand zur neuen Notifizierungspflicht sowie der EUDAMED-Datenbank beleuchtete Frank Matzek, Vice President Regulatory and Governmental Affairs bei Biotronik. Mit der letzten MDR-Änderungsverordnung wurde ein neuer Artikel 10a eingeführt, mit dem die Hersteller verpflichtet werden, eine Unterbrechung der Lieferung bestimmter Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika vorher anzukündigen (Notifizierungspflicht). Hersteller sollen demnach die jeweils zuständige Behörde und die Gesundheitseinrichtungen informieren, bevor sie die Lieferung eines Produkts vorübergehend oder dauerhaft einstellen. Matzek erläuterte, dass die Hersteller bis zum 10. Januar 2025 in ihrem Qualitätsmanagementsystem einen funktionsfähigen Prozess einrichten, der
- eine voraussichtliche eigene, subjektive Lieferunfähigkeit oder Abkündigung entdeckt;
- beurteilt, ob aus der eigenen Lieferunfähigkeit möglicherweise eine objektive Nichtverfügbarkeit einer Diagnosemethode oder Therapie in einem Mitgliedsstaat entsteht, und
- beurteilt, ob die Nichtverfügbarkeit einer Diagnosemethode oder Therapie zu einer Patient:innengefährdung führt.
In dem Prozess müssten die Unternehmen Rollen und Verantwortlichkeiten festlegen, Dokumente definieren und die Meldung mit den vorgeschriebenen Formularen organisieren. „Die Benannten Stellen haben bereits angekündigt, dass sie diesen Prozess auditieren werden“, stellt Matzek klar. Zudem sollten sich die Hersteller „spätestens jetzt intensiv mit der EUDAMED Datenbank auseinandersetzen und die eigenen Daten, Prozesse und IT-Systeme vorbereiten“. Die Module ACT und UDI/DEV seien bereits jetzt auf freiwilliger Basis nutzbar. Anhand der nun definierten Übergänge und deren Fristen seien Hersteller in der Lage, eine Strategie für die Registrierung der eigenen Produkte zu entwickeln. „Die Frist bis zur vollständigen Registrierung aller Produkte ist mit 12 Monaten knapp bemessen“, warnt Matzek. Es sei deshalb ratsam, jetzt mit den Registrierungen zu beginnen und so die Frist zu verlängern.
Hinweis an die Medien:
Bilder zur BVMed-Konferenz können unter www.bvmed.de/pm9824 heruntergeladen werden.