- Wundversorgung „Deutschland braucht eine Nationale Wundstrategie“ 1 Million oft schlecht versorgte Menschen mit chronischen Wunden
Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) fordert von der neuen Bundesregierung eine „Nationale Wundstrategie“. Denn mehr als eine Million Menschen leiden in Deutschland an chronischen Wunden, also Wunden, die schlecht oder gar nicht abheilen – und viele werden nicht ausreichend versorgt. Das kann dramatische Folgen haben, etwa soziale Ausgrenzung, viel Leid und hohe Systemkosten durch lange Heilungsprozesse oder sogar Amputationen. „Mit einer Nationalen Wundstrategie wollen wir gemeinsam mit allen an der Versorgung Beteiligten verbindliche Versorgungspfade festlegen, eine frühzeitige Diagnostik sowie die interdisziplinäre Zusammenarbeit sicherstellen und digitale Lösungen vorantreiben“, so BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Dr. Marc-Pierre Möll. Das insgesamt 12 Punkte umfassende Papier mit konkreten Lösungsansätzen kann unter www.bvmed.de/wundstrategie abgerufen werden.
PressemeldungBerlin, 10.03.2025, 15/25
© BVMed | Bilder: Tina Eichner
Bild herunterladen
Nach Ansicht von Wundexpert:innen werden zu den eine Million Betroffenen mit chronischen Wunden in den nächsten fünf Jahren rund 100.000 neue Patient:innen hinzukommen. Ihr Leiden an verschiedenen Formen von chronischen Wunden wird dabei häufig zu spät diagnostiziert. Dies verzögert Therapien und verlängert den Heilungsprozess. Schlimmstenfalls endet dies in Amputationen von Gliedmaßen, die vermeidbar gewesen wären: Im ersten Jahr der Behandlung chronischer Wunden in einer Klinik werden bereits 85 Prozent der Amputationen durchgeführt. Neben der erheblich eingeschränkten Lebensqualität der Patient:innen führt dies auch zu höheren Kosten für das Gesundheitssystem. „Deutschland braucht deshalb eine Nationale Wundstrategie, um diese sehr unbefriedigende und zunehmend dramatisch werdende Situation zu entschärften“, so BVMed-Wundexpertin Juliane Pohl.
Um bei der Diagnose einer chronischen Wunde und der anschließenden Behandlung sehr viel früher als bisher anzusetzen, hilft eine strukturierte Versorgung kombiniert mit modernen Wundversorgungsprodukten. Die Umsetzung einer Nationalen Wundstrategie erfordert nach Ansicht des BVMed eine Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen, um standes- und sozialrechtliche Vorschriften, Vergütungsmodelle und Kommunikationsdienste auf die Strategie abzustimmen. Entsprechende Vorarbeit hat der BVMed unter anderem mit seinem interdisziplinären Wunddialog geleistet, der zuletzt am 28. Februar 2025 tagte.
In einem ersten Lösungsansatz schlägt der BVMed zwölf Punkte vor, die für die Umsetzung einer Nationalen Wundstrategie unerlässlich sind. Die Vorschläge in der Zusammenfassung:
1. Ein Leitbild Wundversorgung entwickeln
- Unterstützung regionaler und überregionaler Netzwerke und interdisziplinärer Zusammenarbeit auch in der ambulanten Versorgung.
- Entwicklung eines nationalen Versorgungsstandards, der Akteure und Prozesse der Wundversorgung integriert und den Zugang der Betroffenen in Abhängigkeit ihrer Lebens- und Wohnsituation erschließt.
- Schaffung der sozialrechtlichen Vorschriften, die die Besonderheiten der Wundversorgung berücksichtigen und den beteiligten Akteuren einen rechtssicheren Raum für die Umsetzung der Anforderungen an Prozesse und Versorgungsstrukturen sichern.
- Regelmäßige Aktualisierung durch ein interdisziplinäres Expert:innengremium für verbindliche Standards.
2. Interprofessionelle Wundversorgung etablieren
- Schaffung regionaler und überregionaler Wundnetzwerke mit festen Ansprechpartner:innen, Koordination und definierten Behandlungspfaden.
- Einführung interdisziplinärer Fallkonferenzen zur besseren Abstimmung. Entwicklung eines spezifischen Vergütungsmodells (z. B. Komplexpauschale) zur leistungsgerechten Honorierung.
- Möglichkeit der Kooperation von spezialisierten Wundzentren (WZ) mit nicht-spezialisierten, spezialisierten Pflegediensten oder Homecare sowie anlassbezogene Hausbesuche.
3. Standardisierung des Informationsaustauschs
- Einführung eines schnittstellenoffenen und einheitlichen digitalen Wunddokumentationssystems mit verpflichtender Nutzung.
- Aufbau eines nationalen Kommunikationsportals für alle Akteur:innen.
- Nutzung der Telematikinfrastruktur (TI) und Kommunikationsdienste (KIM) zur verbesserten Übermittlung von Behandlungsdaten.
- Sicherstellung der digitalen Vernetzung über elektronische Patientenakten (ePA) durch zügige Anbindung aller relevanten Akteure.
4. Einbindung qualifizierter Fachkräfte
- Erweiterung heilkundlicher Tätigkeiten für spezialisierte Pflegefachkräfte in der Wundversorgung.
- Gesetzliche Anpassung zur Einbindung aller zur Verfügung stehender Fachkräfte wie selbstständiger Wundexpert:innen und Homecare.
- Verbindliche Sicherstellung der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Ärzt:innen, Pflegekräften und Therapeut:innen.
5. Sicherstellung des Zugangs zu qualitätssicheren Wundprodukten
- Einrichtung eines gesonderten Budgets für Wundversorgungsmaterialien.
- Einführung einer Bagatellgrenze zum Abbau von Bürokratie und Angst vor Regress.
- Transparenz über Vertragspartner spezialisierter Versorgungen.
6. Evidenzbasierte Bewertung von Wundprodukten fördern
- Nutzung von Real-Life-Daten aus der ambulanten Versorgung zur besseren Evidenzgenerierung.
- Berücksichtigung von patient:innen-relevanten Endpunkten wie Wundheilung, Schmerzreduktion und Verbesserung der Lebensqualität sowie relevante Wundflächenreduktion bei Wunden mit chronischem Heilungsverlauf.
- Anwendungsbegleitende Datenerhebung und Erstattung für sonstige Produkte zur Wundversorgung beispielsweise für seltene Wunden
- Berücksichtigung der Zweckbestimmung und des medizinischen Therapieziels von Wundprodukten bei der Bewertung des therapeutischen Nutzens unter Einbindung der entsprechenden medizinisch pflegerischen Fachexpertise
7. Einführung eines nationalen Wundregisters
- Verpflichtende Teilnahme aller Leistungserbringer zur Sicherstellung einer besseren Datengrundlage.
- Nutzung des Registers zur Identifikation von Versorgungsdefiziten und Optimierung der Wundtherapie.
- Möglichkeit der Durchführung von Registerstudien oder klinischer Bewertungen im Vergleich zur Regelversorgung.
8. Qualitätskontrolle und Monitoring stärken
- Einführung eines nationalen Qualitätsmanagementsystems.
- Regelmäßige Audits zur Sicherstellung der Versorgungsqualität.
- Implementierung von Pay-for-Performance-Modellen zur Qualitätsförderung.
9. Digitalisierung und neue Versorgungsansätze fördern
- Ausbau telemedizinischer Angebote.
- Nutzung von KI-gestützten Tools zur Diagnostik.
- Förderung von digitalen Kollaborationsplattformen zur intersektoralen Kommunikation.
- Einheitliche Termini in der Dokumentation von Wunden und Therapieverläufen.
- Einführung eines KI-basierten Patientenlotsen zur Unterstützung der Behandlung.
10. Förderung von Forschung und Innovation
- Einrichtung eines Innovationsfonds.
- Förderung klinischer Studien.
11. Prävention und Früherkennung ausbauen
- Entwicklung eines nationalen Screening-Programms.
- Integration von Präventionsmaßnahmen in die Regelversorgung.
- Schulungen zur frühzeitigen Erkennung von Risikofaktoren.
- Datennutzung von Krankenkassendaten.
12. Verbesserung der Patient:innenaufklärung
- Ausbau von Selbstmanagement-Programmen.
- Einführung eines "Wund- und Kompressionsführerscheins" zur Wissensvermittlung.
- Sicherstellung gleichwertiger Versorgung unabhängig vom Wohnort.
Dr. Marc-Pierre Möll: „Eine Nationale Wundstrategie ist notwendig, um die Versorgung zu verbessern. Sie soll verbindliche Versorgungspfade, frühzeitige Diagnostik, interdisziplinäre Zusammenarbeit und digitale Lösungen umfassen. Mit der neuen Bundesregierung bietet sich ein guter Startpunkt für eine entsprechende Initiative. Wir werden Gespräche hierzu aufnehmen, sobald die neue Bundesregierung aufgestellt ist.“
Das vollständige Papier zur nationalen Wundstrategie kann unter www.bvmed.de/wundstrategie heruntergeladen werden.
Weiterführende Informationen gibt es im BVMed-Themenportal unter bvmed.de/wundversorgung.