- Wundversorgung 10. BVMed-Wunddialog: Nationale Wundstrategie als Lösungsansatz
Die Diagnose und Therapie chronischer Wunden erfolgt in Deutschland oft zu spät, was die Lebensqualität der Betroffenen erheblich einschränkt. Ein Grund dafür ist die mangelnde spezialisierte Versorgung. Welche Hürden die gesetzlichen Regelungen und die Verträge der Krankenassen mit den Leistungserbringern der ambulanten Versorgung zusätzlich aufbauen, diskutierten Expert:innen auf dem 10. Wunddialog „Perspektiven der spezialisierten Wundversorgung“ des Bundesverbands Medizintechnologie (BVMed) am 28. Februar 2025 in Berlin. Als ein umfassender Lösungsansatz wurden die Eckpfeiler für eine Nationale Wundstrategie vorgestellt.
PressemeldungBerlin, 05.03.2025, 14/25
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Expert:innen des BVMed-Wunddialogs 2025
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Die Versorgung chronischer Wunden steuert in Deutschland auf ein großes Problem zu. Rund eine Million Menschen litten 2021 an chronischen Wunden, so das Ergebnis des DAK-Versorgungsreports 2024, den Hans-Dieter Nolting, Studienautor und Geschäftsführer des Forschungs- und Beratungsunternehmens IGES, auf dem Wunddialog vorstellte. Diese Zahlen würden demnächst weiter hochgehen „und zwar merklich“, so Nolting. So sei aufgrund des demografischen Wandels in fünf Jahren in Deutschland mit rund 100.000 weiteren Fällen zu rechnen, im Jahr 2040 mit bis zu 200.000 zusätzlichen Fällen im Vergleich zu 2021. Dabei würden schon heute von den Fachgesellschaften und Verbänden die fehlenden wundspezifische Kompetenzen und die oft verspätete Überweisung in eine spezialisierte Versorgung kritisiert.
Eine spezialisierte Versorgung einer chronischen oder schwer heilenden Wunde erfolge laut den DAK-Daten nur in neun Prozent der Fälle, was Nolting als „sehr selten“ bezeichnete. Die durchschnittliche Behandlungsdauer einer chronischen Wunde beträgt lauf DAK-Report 130 Tage. Auf Deutschland hochgerechnet kommt der Report auf Kosten von 2,9 Milliarden Euro durch chronische Wunden pro Jahr. Sein knappes Fazit: „Wir müssen da was tun.“
Gabriela Kostka von der DAK-Gesundheit verwies auf die teils mangelnde Datenbasis, etwa durch nicht eindeutiges Codieren chronischer Wunden im Krankenhaus, was beispielsweise auch die gezielte Ansprache der Patient:innen erschwere, um sie in eine strukturierte Versorgung zu lenken. Dabei seien nicht die Kosten ein Problem, sondern „die Unstrukturiertheit der Versorgung“, so Kostka. Die Versicherten kämen nicht dort an, wo sie hingehörten.
Es sei auch unter Ärzt:innen teilweise nicht bekannt, wer eigentlich spezialisiert chronische Wunden versorge, sodass als einfachste Variante ins Krankenhaus überwiesen werde. Durch digitale Hilfsmittel werde jetzt versucht, die Versorgungsstrukturen und Prozesse zu verbinden, um den Versicherten Angebote zu machen und damit auch die Patient:innenkompetenz zu stärken.
An der Alltagsrealität vorbei
In der Wundversorgung sei in den vergangenen Jahren „nicht allzu viel“ passiert, bemängelte André Lantin, Geschäftsführer der WZ-WundZentren GmbH. Lantin schilderte, wie kompliziert sich die Vertragsverhandlungen für seine 23 Unternehmens-Standorte in fünf Bundesländern gestalten. Als weitere Beispiele nannte er die Berechnungen zu angenommen Krankheitstagen der Beschäftigten, die ebenso an der Alltagsrealität vorbeigingen, wie die noch immer stattfindende Kommunikation mit Faxgeräten. Letzteres erschwere nicht nur die Arbeit, sondern mache die Pflege für die jüngere Generation unattraktiv. Digitalisierung und Künstliche Intelligenz böten bei Verordnungen und Evaluationen enorme Möglichkeiten, um Ressourcen zu sparen, effizienter zu werden und Bürokratie abzubauen.
Zur Digitalisierung wies Gabriela Kostka von der DAK-Gesundheit in der Diskussion darauf hin, dass es auch für die Krankenkassen nicht so einfach sei, diese umzusetzen. Als Beispiele nannte sie, dass die ärztlichen Praxen und Pflegedienste unterschiedliche Software nutzten, die untereinander nicht kompatibel sei, Dokumente nicht digital unterschieben werden dürften und könnten sowie die kassenärztlichen Vereinigungen der Länder und des Bundes unterschiedliche gesetzliche Grundlagen hätten. „Wir sträuben uns nicht dagegen, wir sind für digitale Strukturen dankbar“, sagte Kostka, „aber das ist ein langer Weg.“
Viel Klein-Kein der Krankenkassen
Martin Haas vom Wundkompetenzzentrum (WKZP) Passau schilderte, dass Vertragsangebote der Krankenkassen nicht verhandelbar oder an tatsächliche Gegebenheiten anzupassen seien und nicht den aktuellen Kosten entsprächen. So seien etwa Pauschalen für PKW-Kosten nicht annähernd kostendeckend, die Kostenrechnungen der Krankenkassen berücksichtigen nicht Anschaffungs- oder laufende Fixkosten der Zentren, wohingegen manche Vorgaben „viel Klein-Klein“ seien, beispielsweise die Berechnung des benötigen Desinfektionsmittels. Darüber werde außerdem vergessen, dass es um die Behandlungen schwerer Erkrankungen gehe und dabei nicht das „Geschäft“ im Vordergrund stehe. Auch die Wundzentren seien ein wichtiger Bestandteil der Wundversorgung. An die Krankenkassen appellierte er, mehr „Kalkulationstransparenz“ herzustellen, da die Zahlen und Berechnungen der Krankenkassen nicht nachzuvollziehen seien.
Gabriela Kostka von der DAK-Gesundheit erläuterte als grundlegendes Problem in der Zusammenarbeit mit spezialisierten Zentren, dass deren Regeln von der Politik im Sozialgesetzbuch festgelegt worden seien, sie aber eigentlich unter den Rahmen der Krankenhäuser gehörten. Außerdem seien die Krankenkassen bei Verhandlungen mit Versorgungsanbietern durch den gesetzlichen Rahmen „nicht so flexibel“.
Bessere Wundversorgung braucht Nationale Wundstrategie
Juliane Pohl, Leiterin des Referats Ambulante Gesundheitsversorgung im Bundesverband Medizintechnologie (BVMed), betonte nach den geschilderten praktischen und strukturellen Defiziten in der Wundversorgung die Bedeutung einer Nationalen Wundstrategie für Deutschland. Diese sei nicht nur zur Verbesserung der Lebensqualität der Patient:innen erforderlich, sondern auch, um mit den komplexen strukturellen, finanziellen und politischen Herausforderungen umgehen zu können.
Aus Sicht des MedTech-Verbandes BVMed sei klar, dass eine gute Wundversorgung mehr brauche als ein gutes Produkt. Als Fundament der Nationalen Wundstrategie stellte Pohl deren 12 Säulen vor, die von einem zu entwickelnden Leitbild über die Standardisierung des Informationsaustauschs, die Sicherstellung des Zugangs zu qualitätssicheren Wundprodukten, der Förderung einer evidenzbasierten Bewertung von Wundprodukten bis zur Verbesserung der Patient:innenaufklärung reichen. Der Vorschlag für eine Nationale Wundstrategie kann unter www.bvmed.de/wundstrategie abgerufen werden.
In der abschließenden Diskussionsrunde des 10. Wunddialogs, die von Christof Fischoeder moderiert wurde, rissen die Teilnehmenden mehrere Vorschläge an, wie Menschen mit chronischen und schwer heilenden Wunden in der Zukunft besser versorgt werden können:
- Eine bessere Vernetzung und bessere Strukturen seien auch dadurch zu erreichen, dass bereits bestehende regionale Strukturen und Netzwerke in den Kommunen genutzt werden. Beispielsweise die bestehenden kommunalen Gesundheitskonferenzen und die Konferenzen Pflege und Alter, womit alle am Gesundheitswesen Mitwirkende an einem Tisch wären.
- Qualifizierung der Regelversorgung, damit auch dort eine qualifizierte Beurteilung chronischer Wunden und die adäquate Weiterleitung in die spezialisierte Versorgung stattfindet.
- Etablierung von Lotsensystemen für Patient:innen.
- Deutlicher Ausbau der Prophylaxe und deren Finanzierung, um Erkrankungen zu vermeiden, die chronische Wunden begünstigen. In diesem Zusammenhang wurde darauf verwiesen, dass Aufklärung über Alkohol-, Zucker-, Tabakkonsum oder Ernährungshinweise in Deutschland tabu seien und die Politik zu wenig Aufklärung betreibe, anders als in anderen Ländern.
- Mit Blick auf die Politik wurde ebenfalls darauf verwiesen, dass es keine neuen Gesetze brauche, sondern die vorhandenen Instrumente genutzt werden müssten.
Insgesamt wurde von allen Teilnehmenden dringend ein gemeinsames Vorgehen aller Akteure vorgeschlagen. „Politik regiert auf Lösungsstrategien, nicht auf Problemerzählungen“, beschrieb der Arzt Christian Sommerbrodt.
An der Diskussionsrunde nahmen teil:
- Enes Baskal von URGO
- Dr. Siiri Doka von der BAG Selbsthilfe
- Christian Westermann von der Ruhr Ambulante Pflege
- Christian Sommerbrodt von der Hausärztlichen Gemeinschaftspraxis Sommerbrodt & Kollegen
- Sven Wolfgram vom Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa)
Mehr zum Thema Wundversorgung im BVMed-Themenportal unter bvmed.de/wundversorgung.