- 31.08.2021 BVMed: Neue Leitlinie zur Harninkontinenz bindet Patienten besser ein, ist aber in der Praxis kaum umzusetzen
Der Bundesverband Medizintechnologie, BVMed, sieht in der S2k-Leitlinie „Hilfsmittelberatung“ zur Harninkontinenz gute Ansätze zur besseren Einbindung der Patient:innen in den Versorgungprozess. Die Beratung über Therapiemöglichkeiten sowie die Risikoerkennung lassen sich dadurch gegenüber der heutigen Praxis erheblich verbessern. Allerdings sei die neue Inkontinenz-Richtlinie unter anderem aufgrund rechtlicher Bedenken und Implementierungsfragen nur schwer umzusetzen, so der Fachbereich Inkontinenzhilfen des BVMed.
PressemeldungBerlin, 31.08.2021, 69/21
Die neue S2k-Leitlinie zur Harninkontinenz soll als Grundlage zur Strukturierung, Vereinheitlichung und Verbesserung des Beratungsprozesses zur Hilfsmittelversorgung dienen und definiert Anforderungen an die Hilfsmittelberatung im Zusammenhang mit der Inkontinenzversorgung. „Diese Herangehensweise ist zur Qualitätssicherung und zur Stärkung des Patienten im Versorgungsprozess sinnvoll“, kommentiert der BVMed. Es sei positiv, dass die Grundlage der Leitlinie die Bedürfnisse und Wünsche des Patienten seien. Durch diese Herangehensweise orientiert sich die Leitlinie sehr stark an der Wunschversorgung der Versicherten. Die darin vorgegebenen Methoden scheinen aber weniger dazu geeignet, daraus den medizinisch notwendigen Bedarf abzuleiten. So lässt sich die Leitlinie aus BVMed-Sicht beispielsweise nicht mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot vereinbaren.
Zudem sehen die BVMed-Experten datenschutzrechtliche und praktische Bedenken bei der Umsetzung der Leitlinie. Der dargestellte Beratungsaufwand lasse sich nicht mit der jetzigen Vergütungssystematik vereinbaren. Daher sieht der BVMed die Gefahr der Unvereinbarkeit mit dem gesetzlichen Rahmen in Deutschland, insbesondere mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot, welches eine ausreichende und zweckmäßige Versorgung vorsieht. Auch mit den Versorgungs- und Verordnungsprozessen nach der Hilfsmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) sei die Richtlinie nur schwer vereinbar. Vor diesem Hintergrund könne die Leitlinie kaum in die GKV-Versorgungssystematik einbezogen werden.
Bild herunterladen Ein Grund sehen die BVMed-Experten in der fehlenden Einbeziehung der Hilfsmittel-Leistungserbringer und Homecare-Unternehmen, die vom BVMed vertreten werden, bei der Erstellung der Leitlinie. Der BVMed bietet der Fachgesellschaft für Urologie Gespräche über die Weiterentwicklung der Ansätze hin zu einer qualitätsgesicherten Versorgung an, so Juliane Pohl, Leiterin Ambulante Versorgung beim BVMed.
Besondere Schwierigkeiten sieht der BVMed beispielsweise bei der Bemusterung. So soll diese auf Grundlage der Wünsche der Patienten erfolgen. Gerade im Bereich der Versorgung mit aufsaugenden Inkontinenzprodukten spiele das subjektive Empfinden der Patienten eine große Rolle. Dieses weiche häufig von der medizinischen Notwendigkeit ab. Genau in diesem Punkt komme es darauf an, zwischen der medizinisch notwendigen Versorgung und der Wunschversorgung zu differenzieren.
Unklar sei auch, wie sich der in der Leitlinie enthaltene Ansatz eines Laufzettels zwischen Arzt und Versorger in den gesetzlichen Prozess sowie in der Hilfsmittelrichtlinie definierten Versorgungsprozess einfügen soll. Dieser Ansatz erscheint aus BVMed-Sicht nicht zuletzt auch aufgrund der Vielzahl der Versorgungsfälle – 2,4 Millionen jährlich – und angesichts der mehreren tausend Ärzte und Hilfsmittel-Versorger unpraktikabel und nicht umsetzbar. Vielmehr würde hierdurch der funktionierende Versorgungsprozess durch Hilfsmittel-Leistungserbringer und Homecare-Versorger auf Grundlage der ärztlichen Verordnung unterminiert. Hinzu komme, dass die definierten Anforderungen an die Qualifikation des beratenden Personals nicht vereinbar seien mit den Empfehlungen zur Präqualifizierung des GKV-Spitzenverbandes.
„Die Leitlinie ist gut gedacht und vom Patienten her gedacht, jedoch in Widerspruch zum bestehenden gesetzlichen Rahmen und somit in diesem Kontext nicht umsetzbar. Darüber sollten sich alle Beteiligten austauschen. Der BVMed hat der Fachgesellschaft ein entsprechendes Gesprächsangebot unterbreitet“, so der BVMed abschließend.
Der BVMed vertritt als Wirtschaftsverband rund 230 Hersteller und Zulieferer der Medizintechnik-Branche sowie Hilfsmittel-Leistungserbringer und Homecare-Versorger. Die Medizinprodukteindustrie beschäftigt in Deutschland über 235.000 Menschen und investiert rund 9 Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Der Gesamtumsatz der Branche liegt bei über 34 Milliarden Euro, die Exportquote bei 66 Prozent. Dabei sind 93 Prozent der MedTech-Unternehmen KMUs. Der BVMed ist die Stimme der deutschen MedTech-Industrie und vor allem des MedTech-Mittelstandes.