- Branche Ergebnisse der BVMed-Herbstumfrage 2021
ArtikelBerlin, 30.09.2021
Die Medizintechnik-Branche beschäftigt in Deutschland über 235.000 Menschen und investiert rund 9 Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Der Gesamtumsatz der Branche liegt bei über 34 Milliarden Euro, die Exportquote bei 66 Prozent. Dabei sind 93 Prozent der MedTech-Unternehmen KMUs.
Wie ist die aktuelle Lage der Medizintechnik-Branche?
Der BVMed führte bei seinen Mitgliedsunternehmen im August und September 2021 eine umfassende Online-Befragung mit insgesamt 25 Fragen durch. Von den angeschriebenen 240 BVMed-Mitgliedsunternehmen haben sich 110 Unternehmen beteiligt, darunter vor allem die größeren Hersteller von Medizinprodukten aus Deutschland und den USA. Das ist eine gute Beteiligungsquote von 46 Prozent.
An der BVMed-Umfrage nahmen zu 71 Prozent Hersteller, zu 18 Prozent Handelsunternehmen, zu 6 Prozent Hilfsmittel-Leistungserbringer und Homecare-Versorger sowie zu 4 Prozent Zulieferer teil.
Die Unternehmen, welche sich an der Umfrage beteiligten, haben ihren Hauptsitz zu 72 Prozent in Deutschland, zu 14 Prozent in den USA und zu 11 Prozent im europäischen Ausland.
Bei den von den Unternehmen vertretenen Produktbereichen handelt es sich um Implantate (43 Prozent), medizinische Geräte (31 Prozent), Verbandmittel (30 Prozent), Hilfsmittel (29 Prozent), OP-Produkte bzw. OP-Sets (28 Prozent), in der Coronakrise relevante Schutzausrüstung, Desinfektionsmittel und Beatmungsprodukte (18 Prozent), Dienstleistungen bzw. Homecare-Versorgungen (16 Prozent), Sprechstunden- und Praxisbedarf (15 Prozent), digitale Medizinprodukte (11 Prozent) sowie Zulieferprodukte (5 Prozent).
Die wichtigsten Ergebnisse:
- Die Medizintechnik-Branche zeigt sich vom Corona-Krisenjahr 2020 mit den Lockdowns und starken Umsatzeinbrüchen leicht erholt. Nach einem Umsatzrückgang von 2,1 Prozent im Vorjahr erwartet die Branche in diesem Jahr in Deutschland ein Umsatzwachstum von 3,0 Prozent, weltweit von 3,1 Prozent. Die Gewinnsituation ist jedoch durch gestiegene Rohstoff- und Logistikkosten stark angespannt. Dennoch bleibt die Branche ein Jobmotor, die Zahl der Arbeitsplätze steigt weiter.
- Der mit Abstand größte Bremser der künftigen MedTech-Entwicklung bleibt die EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR). Die Unternehmen fordern vor allem eine vereinfachte Neuzertifizierung für bewährte Bestandsprodukte sowie Förderprogramme für KMU zur Umsetzung der MDR.
- Durch die Coronakrise gewinnen die Themen Digitalisierung und Ambulantisierung weiter an Bedeutung. Der digitale Wandel schreitet voran. Der Vertrieb wandelt sich hin zu „Remote Selling“, der Kund:innensupport wird zunehmend digitalisiert. Ein Drittel der Unternehmen arbeitet mit Start-ups zusammen. Das größte Potenzial sehen die Unternehmen in Datenanalysen, Cloud-Technologien und künstlicher Intelligenz. Die MedTech-Branche fordert dafür einen besseren Zugang zu Versorgungsdaten.
Die Ergebnisse im Einzelnen:
Umsatzergebnis und Gewinnentwicklung leiden weiter unter COVID-19
57 Prozent der befragten MedTech-Unternehmen rechnen in diesem Jahr mit einem besseren Umsatzergebnis als im Vorjahr. Das ist ein deutlich besseres Ergebnis als im ersten Corona-Krisenjahr (24 Prozent) – reicht aber noch nicht an die Werte vor der Coronapandemie heran (2019: 70 Prozent | 2018: 78 Prozent).
Von einem Umsatzrückgang gehen 24 Prozent der befragten Unternehmen aus. Bei über 11 Prozent sind die Umsatzrückgänge sogar im zweistelligen Bereich. Das zeigt, dass einzelne Bereiche der MedTech-Branche noch immer sehr stark von der Coronakrise betroffen sind, beispielsweise im Bereich der elektiven Eingriffe.
Aus den gewichteten Umsatzangaben der BVMed-Unternehmen ergibt sich im deutschen Markt ein durchschnittlicher Umsatzanstieg von 3,0 Prozent gegenüber dem dramatisch schlechten Vorjahr. Der ungewichtete Wert liegt bei 2,1 Prozent. Das zeigt, dass die kleineren Unternehmen – wie auch schon bei der Umfrage 2020 – stärker von der Coronakrise betroffen sind.
Die erwartete weltweite Umsatzentwicklung schneidet mit einem Plus von 3,1 Prozent nur knapp besser als die Inlandsentwicklung ab. In den Jahren vor der Coronakrise lag das internationale Wachstum der Unternehmen immer deutlich über dem Inlandsergebnis.
Eine Einzelauswertung nach Produktbereichen zeigt, dass vor allem OP-Sets (0,1 Prozent) und Verbandmittel (0,5 Prozent) unter der Krise leiden. Aber auch der Implantate-Bereich (2,4 Prozent) entwickelt sich noch leicht unterdurchschnittlich. Am stärksten ist das Umsatzwachstum mit 4,6 Prozent bei den medizinischen Geräten.
Etwas besser als im Vorjahr, aber immer noch besorgniserregend, stellt sich die Entwicklung der Gewinnsituation der Unternehmen in Deutschland dar. 42 Prozent gehen von einer Verschlechterung der Gewinnsituation aus. Im Vorjahr waren es noch 63 Prozent.
Die Gewinnsituation der Unternehmen wird nicht zuletzt durch die dramatische gestiegenen Rohstoffpreise sowie Transport- bzw. Logistikkosten geschmälert. 44 Prozent der Unternehmen nennen die steigenden Rohstoffpreise als größte Hürde für die Entwicklung. Das ist, neben der verschobenen elektiven Eingriffen (62 Prozent) mit rückläufigen Krankenhaus-Fallzahlen und den eingeschränkten Patient:innenkontakten (55 Prozent), der höchste Wert.
Trotz des erheblichen Drucks auf die Branche erhöhen über ein Viertel der Unternehmen auch in diesem Jahr ihre Investitionen am Produktionsstandort Deutschland. Bei 43 Prozent bleibt die Höhe der Investitionen unverändert.
Ähnlich sieht die Situation bei den Forschungsausgaben aus. 21 Prozent der befragten BVMed-Unternehmen erhöhen ihre Forschungsausgaben gegenüber dem Vorjahr. Bei 37 Prozent bleiben die Forschungsausgaben unverändert.
Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die MedTech-Branche
Durch die Coronakrise gewinnen die Themen Digitalisierung und Ambulantisierung erheblich an Bedeutung. Zwei Drittel der befragten Unternehmen der MedTech-Branche erwarten eine steigende Akzeptanz für die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung – und entsprechend mehr Investitionen in diese. Jeweils 45 Prozent sehen eine erhöhte Nachfrage nach digitalen bzw. digital-unterstützten Versorgungsformen sowie einen Trend zu mehr digitaler Vor- und Nachbetreuung. 34 Prozent erwarten mehr Operationen und Behandlungen im ambulanten Sektor, 29 Prozent mehr Investitionen in den Infektionsschutz sowie 25 Prozent mehr Investitionen in Digitale- und Robotik-Anwendungen im Krankenhaus.
Die Coronakrise hat auch erhebliche Auswirkungen auf den Vertrieb von Medizinprodukten. Mehr als zwei Drittel der Unternehmen geben an, dass digitale Lösungen im Vertrieb deutlich wichtiger werden. Die Hälfte der Befragten erwartet veränderte Märkte und Wettbewerbssituationen durch digitale Angebote und Produkte. 62 Prozent setzen verstärkt auf virtuelle Ärzteveranstaltungen, 48 Prozent auf Remote-Selling-Konzepte. 45 Prozent erwarten dauerhafte Kontakteinschränkungen im Krankenhausbereich.
Die Zahl der Arbeitsplätze steigt weiter
Die Medizinprodukte-Branche beschäftigt in Deutschland mehr als 235.000 Menschen. Die Beschäftigtenzahlen sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Trotz der Coronakrise ist nach den Ergebnissen der BVMed-Herbstumfrage 2021 erkennbar, dass die Unternehmen ihr Personal halten wollen, ja sogar weiter ausbauen. Nur 10 Prozent der Unternehmen sind gezwungen, in diesem Jahr Personal abzubauen. 48 Prozent halten ihre Mitarbeiter:innenzahl. 38 Prozent schaffen sogar zusätzliche Arbeitsplätze.
Die Berufsaussichten für Fachkräfte in der MedTech-Branche sind damit nach wie vor ausgezeichnet. 84 Prozent der Unternehmen, die sich an der BVMed-Herbstumfrage 2021 beteiligt haben, halten die Berufsaussichten für unverändert gut bzw. besser. Gesucht werden vor allem Ingenieur:innen (35 Prozent), Medizintechniker:innen und Naturwissenschaftler:innen (jeweils 26 Prozent), Informatiker:innen (23 Prozent) und Pflegekräfte (16 Prozent).
Stärken des MedTech-Standorts Deutschland
Als große Stärken des Standorts Deutschland nennen die befragten MedTech-Unternehmen vor allem die gut ausgebildeten Fachkräfte sowie die gute Infrastruktur, beispielsweise die Verkehrswege (jeweils 77 Prozent). Häufig genannte Stärken sind zudem das hohe Versorgungsniveau der Patient:innen (57 Prozent), gut ausgebildete Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen (48 Prozent) sowie eine gut ausgebildete Ärzteschaft (46 Prozent).
Wie in den Vorjahren findet sich die Forschungsförderung am Ende der Liste wieder. Nur 11 Prozent sehen diesen Bereich als Stärke des Standorts Deutschland. Nur 7 Prozent nennen das Fast-Track-Verfahren bei den digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) als Stärke. Die Unternehmen vermissen hier die Ausweitung auf die höheren Medizinprodukte-Klassen IIb und III.
MDR bremst die Entwicklung der MedTech-Branche
Das beherrschende Thema bei der Frage nach den Hemmnissen für die MedTech-Entwicklung bleibt die EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR), die seit dem 26. Mai 2021 gilt. Sie ist für die Unternehmen selbst im Vergleich zur Corona-Pandemie das sehr viel größere Problem. So sehen 87 Prozent der befragten BVMed-Unternehmen die zusätzlichen MDR-Anforderungen als größtes Hindernis für die künftige Entwicklung der Medizintechnologie-Branche. Dabei geht es vor allem um die Pflicht zu umfassenden klinischen Daten (77 Prozent) und um längere Konformitätsbewertungszeiten durch Ressourcendefizite bei den Benannten Stellen (69 Prozent). Die Werte sind gegenüber dem Vorjahr nochmals stark gestiegen, was die zunehmende Brisanz des Themas belegt.
Als größte Hemmnisse der aktuellen nationalen Rahmenbedingungen werden von den MedTech-Unternehmen vor allem der Preisdruck durch Einkaufsgemeinschaften (52 Prozent), die innovationshemmenden Einstellungen von Krankenkassen (33 Prozent), die strengere Umweltgesetzgebung und die CO2-Bepreisung sowie die Absenkung sachkostenintensiver DRG-Fallpauschalen (25 Prozent) genannt.
Gesundheitspolitische Forderungen: MDR vereinfachen
Bei den gesundheitspolitischen Forderungen der Branche steht ein MDR-bezogenes Thema klar an der Spitze. 70 Prozent der MedTech-Unternehmen (Vorjahr: 56 Prozent) sprechen sich für eine vereinfachte Neuzertifizierung der bewährten Bestandsprodukte unter der MDR aus. 39 Prozent der Unternehmen wünschen sich Förderprogramme für KMU zur Umsetzung der MDR.
Neben dem vorherrschenden Thema MDR stehen auf der gesundheitspolitischen Agenda eine Verkürzung der Dauer der Bewertungsverfahren (41 Prozent), eine besser abgestimmte Gesundheits-, Wirtschafts- und Forschungspolitik (37 Prozent), eine aktive Beteiligung der Industrie und mehr Transparenz der Prozesse des Gemeinsamen Bundesausschusses (37 Prozent), eine generell ermäßigte Mehrwertsteuer für Medizinprodukte (34 Prozent), der Aufbau zusätzlicher Produktionskapazitäten für Medizinprodukte in Deutschland (30 Prozent) sowie ein besserer Zugang der Industrie zu Versorgungs- und Patient:innendaten (27 Prozent).
Innovationsklima-Index verlässt den Tiefpunkt
Auf einer Skala von 0 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut) bewerten die Unternehmen das Innovationsklima für Medizintechnik in Deutschland im Durchschnitt mit 4,3. Das ist ein nur leicht verbesserter Wert gegenüber dem Index-Tiefpunkt 2020 (4,2). In den Jahren 2012 und 2013 lag der BVMed-Innovationsklima-Index noch bei 6,2 Punkten. Den negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie stehen positive Entwicklungen gegenüber, wie beschleunigte Bewertungsprozesse sowie Investitionen in Digitalisierung und moderne Technologien in den Kliniken.
Als innovativste Forschungsbereiche schätzen die Unternehmen die Kardiologie (31 Prozent), die Onkologie (29 Prozent) sowie die Diagnostik (23 Prozent) ein. Es folgen die Bereiche Neurologie (21 Prozent), Orthopädie (15 Prozent) und Diabetologie (13 Prozent).
Digitaler Wandel schreitet voran
Bei der Nutzung digitaler Lösungen in den Unternehmen der MedTech-Branche sind im zweiten Corona-Krisenjahr deutlich höhere Werte festzustellen. 74 Prozent der Unternehmen haben sich mit ihren Kunden digital vernetzt und 71 Prozent digitale Prozessoptimierungen in verschiedenen Unternehmensbereichen wie Vertrieb, Produktion sowie Einkauf vorgenommen. Das sind deutlich höhere Werte als im Vorjahr. 43 Prozent nutzen elektronische Abrechnungen (eInvoicing), 35 Prozent elektronische Beschaffungen (eProcurement). Immerhin 23 Prozent der BVMed-Unternehmen, die sich an der Umfrage beteiligten, bieten telemedizinische Dienstleistungen an. Vor der Coronakrise waren dies lediglich 9 Prozent.
Das größte Potenzial bei den digitalen Technologien sehen die Unternehmen in Datenanalysen bzw. „Business Intelligence“ (46 Prozent), in Big- und Smart-Data-Anwendungen (36 Prozent), Cloud-Technologien (25 Prozent) sowie künstlicher Intelligenz bzw. „Machine Learning“ (23 Prozent). Medizinische Apps und digitale Gesundheitsanwendungen werden nur noch von 22 Prozent der Unternehmen genannt. Im Vorjahr waren es noch 38 Prozent. Hier hat man sich vom neuen DiGA-Prozess offensichtlich mehr versprochen.
30 Prozent der MedTech-Unternehmen arbeiten bei der Entwicklung digitaler Lösungen bereits mit Start-ups zusammen.
Ausblick
Die Coronakrise ist ein Stress-Test für das Gesundheitssystem. Die Pandemie hat die große Bedeutung von Medizinprodukten verdeutlicht. Sie hinterlässt aber nach wie vor auch Spuren in der Branche – bis hin zu gestiegenen Rohstoffpreisen und Logistikkosten. Zusätzliche Belastungen entstehen durch den neuen regulatorischen Rahmen – insbesondere für KMU und ihre bewährten Bestand- und seltenen Nischenprodukte.
Mittel- und langfristig benötigen wir einen gesamtgesellschaftlichen Dialog über den Medizintechnik-Standort Deutschland und ein Konjunkturprogramm für die mittelständisch geprägte MedTech-Branche – möglichst abgestimmt auf europäischer Ebene.
Der Weg der Digitalisierung im Gesundheitsbereich muss konsequent fortgesetzt und ausgeweitet werden. In der Gesundheitsversorgung kostet es jeden Tag Menschenleben, Daten nicht zu teilen. Die MedTech-Unternehmen benötigen im Interesse einer hochinnovativen Gesundheitsvorsorge den gleichberechtigten Zugang zu Forschungsdaten.
Stand: 6. September 2021