- Wiederbelebung Ersthelfersysteme: Ruf nach Flächendeckung Quelle: E-HEALTH-COM vom 30. Oktober 2024
Die Bertelsmann-Stiftung, die Björn Steiger Stiftung und die ADAC Stiftung haben Empfehlungen erarbeitet, die sich mit Ersthelferalarmierungssystemen beschäftigen. Klarer Tenor: Diese Systeme sollten möglichst schnell flächendeckend eingesetzt werden. Sie sollten interoperabel sein, also mit einheitlichen Standards arbeiten, damit sie leitstellenübergreifend angesteuert werden können. Und es sollte die Finanzierung geklärt werden, damit alle Leitstellen solche Apps auch wirklich nutzen können, berichtet E-HEALTH-COM.
ArtikelBerlin, 30.10.2024
Smartphone-basierte Ersthelfer-Apps sind mittlerweile in zahlreichen Regionen in Deutschland im Einsatz. Die Systeme werden typischerweise mit dem regionalen Rettungssystem verknüpft und bringen bei einem außerklinischen Herz-Kreislauf-Stillstand registrierte Laienretter, die sich gerade in der Nähe befinden, an einen Unfallort, bei manchen Systemen auch rettungserfahrenes medizinisches Personal. So kann eine Reanimation zügig begonnen und die Zeit bis zum Eintreffen der professionellen Rettungskräfte überbrückt werden. Diese Zeit ist in Deutschland mit im Schnitt 7 bis 9 Minuten länger als in vielen vergleichbaren Ländern. Jährlich erleiden etwa 120.000 Menschen in Deutschland einen außerklinischen Herz-Kreislauf-Stillstand. Die Überlebensrate liegt derzeit bei nur 11%.
Dringender Handlungsbedarf
Bisher arbeiten rund 40 Prozent der Leitstellen mit Ersthelfernetzwerken, in unterschiedlicher Intensität. Es gibt rund ein halbes Dutzend Apps, die dabei zum Einsatz kommen. Die sind nicht interoperabel, was eine überregionale Alarmierung unmöglich macht oder jedenfalls stark erschwert. Qualifizierte Ersthelfer, die sich nicht im eigenen Landkreis bzw. im Einzugsbereich der eigenen Leitstelle befinden, können in der Regel nicht alarmiert werden – was ein relevantes Defizit der existierenden Systeme ist.
Drei wichtige Stiftungen, die ausschließlich oder auch im Bereich der Notfallversorgung aktiv sind – die Bertelsmann-Stiftung, die Björn Steiger Stiftung und die ADAC Stiftung – haben jetzt Empfehlungen erarbeitet, die sich mit Ersthelferalarmierungssystemen beschäftigen. Klarer Tenor: Diese Systeme sollten möglichst schnell flächendeckend eingesetzt werden. Sie sollten interoperabel sein, also mit einheitlichen Standards arbeiten, damit sie leitstellenübergreifend angesteuert werden können. Und es sollte die Finanzierung geklärt werden, damit alle Leitstellen solche Apps auch wirklich nutzen können.
Interoperabilität bei Erstversorger-Apps: Der Bund ist in der Pflicht
Die jetzt vorgelegten Empfehlungen basieren auf einem von den drei Stiftungen im April 2024 durchgeführten Workshop, der Expertinnen und Experten aus der Rettungsversorgung und der Wissenschaft zusammengebracht hatte. Was entsprechende deutschlandweit einheitliche Regelungen angeht, sehen die Stiftungen den Bund in der Pflicht, der Interoperabilitätsanforderungen an Apps gesetzlich auf den Weg bringen könnte. Genau eruieren lassen haben die Stiftungen das in einem begleitenden Rechtsgutachten des Sozialrechtlers Prof. Andreas Pitz, das sich mit den Regelungsoptionen des Bundes und mit möglichen Finanzierungswegen beschäftigt und konkrete Vorschläge macht.
Das Gutachten zeigt auf, durch wen, wie und wo technische Standards für Ersthelfer-Apps gesetzlich verankert werden könnten, um eine flächendeckende Umsetzung zu gewährleisten. Grundsätzlich könne der Bund demnach – gestützt auf den Kompetenztitel des Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG – technische Mindeststandards für Ersthelfer-Apps festlegen. Hierzu zählten insbesondere auch die Zurverfügungstellung von Schnittstellen zu anderen Ersthelfer Apps und Vorschriften zur Ausfallsicherheit. Die Bundeskompetenz sei aber auf technische Aspekte beschränkt und umfasse nicht die inhaltliche oder organisatorische Regelung der Ersthelfersysteme.
Hoffnung auf den Endspurt bei der Notfallreform
Das ist auch Dr. Christian Schlicher wichtig, Projetmanager im Programm Gesundheit bei der Bertelsmann Stiftung: „Es geht nicht um die Ausgestaltung von technischen Funktionalitäten, sondern darum, das bekannte Problem der fehlenden Vernetzbarkeit zu lösen.“ Hier müsse der Bund den ersten Schritt gehen, so Schlicher zu E-HEALTH-COM, und dazu sei jetzt der richtige Zeitpunkt.
Politischer Hintergrund sind die Pläne zur Reform der Notfallversorgung, die sich derzeit in der parlamentarischen Abstimmung befinden. Hier könnten durch die Parlamentarier noch entsprechende Regelungen ergänzt werden, bevor das Gesetz dann Ende des Jahres verabschiedet wird. Bei den Stiftungen, die ihre Stimme bei diesem Thema ganz bewusst gemeinsam in die Waagschale werfen, ist man vorsichtig optimistisch, dass das gelingen könnte: „Unsere Wahrnehmung ist, dass Themen des Rettungsdienstes von einzelnen Akteuren noch eingebracht werden. Wir hoffen, dass unsere Empfehlungen und das Gutachten den einen oder anderen bestärken, das Thema voranzubringen“, so Schlicher.
Haftungsfragen sind geregelt, Finanzierung ist lösbar
Neben der Interoperabilität, wo die Stiftungen ganz klar den Bund am Zug sehen, haben die Empfehlungen zu den Ersthelfer-Apps und das begleitende Gutachten noch ein paar weitere Dimensionen. Da ist zum einen die Finanzierung der Apps. Hier sind Stiftungen und Gutachter tendenziell der Auffassung, dass dies innerhalb des existierenden Rechtsrahmens möglich sei. Auch dafür werden konkrete Vorschläge unterbreitet.
Keinen Handlungsbedarf sehen die Stiftungen bei dem oft als Sorge vorgebrachten Thema der rechtlichen Absicherung der Ersthelfenden: Was, wenn ein Helfer oder eine Helferin sich selbst oder andere verletzt? Da es um Szenarien geht, in denen Defibrillatoren zum Einsatz kommen, kann das zumindest theoretisch passieren. Dies sei aber unproblematisch, weil bereits geregelt: „Wir können da Entwarnung geben. Es gibt keine versicherungstechnischen Probleme“, so Schlicher zu E-HEALTH-COM.
Zukunft: Mehr als nur Herz-Kreislauf-Stillstand?
Die Stiftungen machen sich in ihren Empfehlungen auch Gedanken über die Frage, wer über die Apps alarmiert werden soll. Hier gibt es zwei Modelle, das „Laienmodell“, bei dem Laien alarmiert werden, die ein Basistraining Reanimation absolviert haben müssen, und das „Profi-Modell“, bei dem nur Vertreter:innen von Gesundheitsberufen eingebunden werden. Hier spreche man sich ganz klar für den zusätzlichen Einsatz von Laien aus, so Schlicher: „Wenn wir die nicht integrieren, sind es nicht genug Leute.“ Das entspreche auch den Erfahrungen von Ländern wie Niederlande oder Finnland, wo Ersthelfer-Apps deutlich verbreiteter sind.
Für die Zukunft können sich die Stiftungen auch Vorstellungen, dass der Einsatz von Ersthelfer-Apps inhaltlich breiter werden könnte. Derzeit werden diese Apps von Leitstellen dann aktiviert, wenn es um einen Herz-Kreislauf-Stillstand geht, also bei Reanimationsszenarien. Denkbar wäre aber auch, Laienhelfer in anderen Situationen zu aktivieren. Das könnte die Notfallrettung unter Umständen von Einsätzen entlasten, bei denen sie gar nicht erforderlich wäre, etwa wenn es nur darum geht, einem Menschen nach einem Sturz wieder auf die Beine zu helfen.
Quelle und weitereführende Informationen: E-HEALTH-COM vom 30. Oktober 2024Externer Link. Öffnet im neuen Fenster/Tab.