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 - MedTech-Trends Heilung aus dem 3-D-Drucker Artikel in der WELT-Online am 8. Dezember 2015

ArtikelBerlin, 18.12.2015

© Fotolia #84239042 Es ist etwa so groß wie eine Avocado, durchsichtig, aber wie von korallenartigen Strukturen in verschiedenen Farben durchzogen. Jean-Christophe Bernhard deutet auf ein orangefarbenes Element, das auf den ersten Blick von der Form her vage an eine Walnuss erinnert. "Das ist der Tumor, das Pinkfarben hier die Arterien und das Gelbe der ableitende Harnweg", sagt Bernhard. Das Gebilde, das der Chirurg und Urologe der Universitätsklinik Bordeaux in den Händen hält, ist eine Niere – aus dem 3-D-Drucker. Sie soll Chirurgen wie Bernhard helfen, Nierenoperationen bei Krebspatienten besser vorbereiten zu können. "Außerdem verstehen die Patienten anhand dieses Modells viel besser, was mit ihnen passiert", sagt Bernhard.

In keinem Bereich beflügelt das 3-D-Verfahren die Fantasie der Menschen so sehr wie in der Welt der Medizin, wo in Zukunft Heilung selbst für Leiden möglich erscheint, für die es bisher keine oder nur unzureichende Behandlungsmöglichkeiten gab. Noch allerdings können Ärzte wie Bernhard davon nur träumen, dass eines Tages keine Organspenden mehr nötig sein werden, weil die neue Niere oder das neue Herz inklusive aller notwendigen Blutgefäße und Organstrukturen einfach ausgedruckt werden kann. Bisher muss sich die Medizin mit 3-D-Produkten aus herkömmlichen Materialien wie Plastik, Metall oder Keramik begnügen.

Besonders rasant entwickelt sich der Markt für künstliche Zähne, Hüftgelenke oder Knieprothesen aus dem 3-D-Drucker. Das liegt auch am demografischen Wandel in vielen Gesellschaften: Mit steigendem Durchschnittsalter der Bevölkerung nimmt die Zahl derjenigen zu, die mit typischen Alterskrankheiten wie Arthritis oder Herz-Kreislauf-Problemen kämpfen und daher zunehmend auf möglichst passgenauen Ersatz angewiesen sind.

Die Verfahren, mit denen Zahnprothesen, Kniegelenke, Stents für Luftröhren oder Schädelplatten aus dem 3-D-Drucker hergestellt werden, unterscheiden sich technisch voneinander, das Prinzip dahinter ist aber stets dasselbe: Am Computer wird ein dreidimensionales Modell in dünne Schichten zerlegt und anschließend in speziellen Anlagen wieder Schicht für Schicht ausgedruckt, bis aus dem virtuellen 3-D-Modell am Bildschirm ein reales Objekt entstanden ist.

Vor allem im Geschäft mit medizinischen Prothesen setzt sich das neue Verfahren zunehmend durch. Das gilt insbesondere für den Zahnersatz, wo die Zahl der additiv gefertigten Implantate rasant steigt. Schon heute habe die Technik in einigen Ländern die klassische Fertigung fast verdrängt, konstatierte der Gründer des deutschen 3-D-Druck-Anbieters Eos, Hans Langer, bereits vor über einem Jahr. Künftig, so die Vorstellung des Unternehmers, werde der Zahnersatz nicht mehr traditionell mit Wachsmesser und Abformlöffel, sondern per Mausklick und Intraoralscanner hergestellt.

Tatsächlich kommen additiv hergestellte künstliche Ersatzteile in der Chirurgie schon seit Jahren zum Einsatz. Das gilt insbesondere für die Orthopädie, wo sich immer mehr Patienten für ein Knie- Hüft- oder Schultergelenk aus dem 3-D-Drucker entscheiden. "Der große Vorteil dieser Implantate ist, dass sie wie ein Maßanzug individuell auf das jeweilige Gelenk geschneidert werden können. Dadurch wird der Knochen besser überdeckt und das Ersatzteil kann gut anwachsen", sagt Christian Lüring, Direktor der Orthopädischen Klinik in Dortmund.

Die Klinik ist deutschlandweit führend beim Einsatz von künstlichen Kniegelenken aus dem 3-D-Drucker. Anders als beim Standardverfahren, bei dem der Chirurg aus dem medizinischen Ersatzteilkatalog eine Gelenkprothese auswählt und anschließend den Knochen dem jeweiligen Modell anpasst, wird bei den neuen 3-D-Implantaten die Prothese für jeden Patienten maßgeschneidert gefertigt. Dabei werden zunächst CT-Aufnahmen gemacht und die Bilder anschließend zum Hersteller gesendet. Dort errechnet ein Computer die ideale Prothese, die schließlich in 3D ausgedruckt und an die Klinik geschickt wird.

Über 350 solcher Operationen am Kniegelenk führen der 40-Jährige und sein Team pro Jahr durch, bei jedem dritten Eingriff entscheiden sich die Patienten mittlerweile für eine Prothese aus dem Drucker. Dass es nicht noch mehr sind, liegt vor allem an den deutlich höheren Kosten: gut 1000 bis 1400 Euro kostet ein künstliches Kniegelenk aus einer Kobalt-Chrom-Legierung im Durchschnitt – für das Pendant aus dem 3-D-Drucker, das aus dem selben Material gefertigt wird, rufen die Hersteller in der Regel gut das Doppelte auf.

"Flächendeckend durchsetzen dürften sich die neuen Produkte daher wohl erst dann, wenn die Preise für solche Gelenke aus dem 3-D-Drucker deutlich sinken", sagt Lüring. Zumal einige Patienten bisher auch die Tatsache abschreckt, dass es noch keine Langzeiterfahrungen mit den 3-D-Implantaten gibt: ob die Gelenke aus dem 3D-Drucker, die seit etwa drei Jahren eingesetzt werden, genauso lange halten, wie das konventionell gefertigte Standardmodell, das seit nunmehr 25 Jahren zum Einsatz kommt, wird nur die Zukunft zeigen.

Unterdessen entwickelt sich die Forschung rasant weiter. So haben Wissenschaftler am Fraunhofer Institut für Lasertechnik in Aachen ein Verfahren entwickelt, mit dem sich verzweigte künstliche Blutgefäße herstellen lassen. Sie sollen künftig die Blutzufuhr für Hautersatz verbessern, der außerhalb des menschlichen Körpers kultiviert wird. In Berlin wiederum arbeitet ein Team der Technischen Universität daran, künstliche Herzklappen aus dem 3-D-Drucker zu entwickeln, die eines Tages mit menschlichem Gewebe besiedelt und in den Körper eingepflanzt werden können.

Doch wo liegen die Grenzen? "Ich rechne damit, dass es einen Tages auch künstliche Kniegelenke aus knochenähnlichem Material aus dem 3-D-Drucker geben wird", sagt Lüring. Auch künstliche Herzklappen, die auf diese Weise gefertigt werden, hält der Mediziner aus Dortmund für denkbar.

Bei künstlichen Organen aus dem 3-D-Drucker gebe es schon mehr Fragezeichen: "Es wird extrem schwierig sein, diese so herzustellen, dass sie das Organ nicht nur nachbilden, sondern tatsächlich auch die Funktion von Herz, Leber oder Niere übernehmen und dauerhaft an den Blutkreislauf angeschlossen werden können", sagt er.

Schwierig, aber nicht unbedingt unmöglich. Die Revolution in der Welt der Medizin – sie hat gerade erst begonnen.

Quelle: DIE WELT Online vom 8. Dezember 2015Externer Link. Öffnet im neuen Fenster/Tab.

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