- Innovationen 4D-Druck ermöglicht ein neuartiges Cochlea-Implantat
Artikel06.03.2014
Ein Cochlea-Implantat ist heute eigentlich nichts Besonderes mehr: Das kleine Gerät besteht aus einem Elektrodenträger im Innenohr und einem meist außen hinter dem Ohr getragenen Mikrofon mit Sprachprozessor. Die vom Mikrofon empfangenen Schallwellen werden in elektrische Impulse übersetzt und über die im Innenohr liegende Elektrode an den Hörnerv weitergeleitet. Auf diese Weise können schwerhörige oder sogar taube Menschen wieder hören. So weit, so bekannt – Cochlea-Implantate werden längst in Serie produziert, mehreren Zehntausend Hörgeschädigten in Deutschland (Link: http://www.welt.de/themen/deutschland-reisen/) und mehreren hunderttausend weltweit helfen die Geräte schon.
Das Problem bei den herkömmlichen Implantaten: Jeder Mensch ist anders – und so ist auch die Hörschnecke von Patient zu Patient immer etwas unterschiedlich. Das kann den Operationserfolg maßgeblich beeinflussen. Die Cochlea-Implantate, die am Laser-Zentrum in Hannover gefertigt werden, bieten eine Lösung für dieses Problem – sie sind fast wie ein kleines Wunder. Sie werden individuell gefertigt und ganz genau auf den jeweiligen Patienten abgestimmt. Einmal in die Hörschnecke eingesetzt, bringen sie sich von selbst in Form – und passen sich flexibel ihrem Träger an.
Dinge, die sich selbstständig verformen und sich von allein exakt vorgegebenen Strukturen anpassen, grenzt für Laien beinahe an Zauberei. Doch im Prinzip steckt ganz gewöhnliche Physik dahinter: Zum Einsatz kommen nämlich so genannte Formgedächtnislegierungen. Das sind spezielle Metalle, die in zwei unterschiedlichen Kristallstrukturen existieren können. Sie werden oft auch als Memorymetalle bezeichnet, weil sie sich trotz starker Verformung an eine frühere Formgebung scheinbar erinnern können: Egal wie oft man es verändert, das Material nimmt immer wieder seine Ursprungsform an. Auch das ist eigentlich ein alter Hut. "Neu ist, dass diese Materialien mit dem 3D-Druck kombiniert werden", erklärt Stefan Kaierle, Leiter der Abteilung Werkstoff- und Prozesstechnik am Laser-Zentrum Hannover.
Beim 3D-Druck wird das Produkt nicht wie bei der herkömmlichen Fertigung aus einem Stück Material herausgearbeitet, sondern mit Laserstrahlen aus einem pulverförmigen Material schichtweise zusammengefügt. Dabei kann es fast jede beliebige Form annehmen. Diese Vorgehensweise bietet enorme Vorteile: Zum einen ist die Nutzung der Rohstoffe sehr effizient, denn es gibt – anders als bei der herkömmlichen Fertigung – so gut wie keinen Ausschuss. Zum anderen ist eine sehr individuelle Produktion möglich – eben wie bei den Cochlea-Implantaten in Hannover.
Für die kleinen Geräte wird zunächst mittels Computertomografie ein dreidimensionales Bild vom Innenohr gemacht. Auf dieser Basis entsteht ein virtuelles Modell des Cochlea-Implantats, das in einem weiteren Schritt aus pulverförmigem Material – in diesem Fall ist das Nickel-Titan – im 3D-Druckverfahren aufgebaut wird. Danach sieht das Implantat so aus, wie es später in der Hörschnecke sitzen wird. Doch so kann es nicht ins Ohr eingeführt werden. Deswegen wird seine Form so verändert, dass es für den Chirurgen handhabbar ist. Noch während der Operation wird das Material auf bis zu 60 Grad erhitzt – und wie von Geisterhand verwandelt es sich wieder in seine ursprüngliche, gedruckte Form zurück und passt sich an die Hörschnecke an. "Zurzeit handelt es sich dabei noch um ein Grundlagenprojekt, wir befinden uns aber schon auf dem Weg zur klinischen Erprobung", sagt Laserforscher Kaierle.
Weil zu dem herkömmlichen 3D-Druck mit dem Faktor Zeit noch eine vierte Dimension hinzukommt, wird diese Art der Fertigung auch als 4D-Druck bezeichnet. Geprägt hat diesen Begriff der Informatiker Skylar Tibbits, der am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA (Link: http://www.welt.de/themen/usa-reisen/) forscht. Für Tibbits ist der 4D-Druck nichts anderes als die logische Fortschreibung des 3D-Drucks: Er stellt Objekte im 3D-Druck aus verschiedenen Materialien zusammen, die unter bestimmten Bedingungen ihre Gestalt ändern. "Diese Einflüsse können zum Beispiel Wasser oder eine gewisse Temperatur sein", erläutert Tibbits. Wichtig sei aber, dass es eine Form von Energie sei. Aus diesem Grund kämen Vibration oder Schall infrage.
Gemeinsam mit dem Software-Hersteller Autodesk arbeitet MIT-Forscher Tibbits an der Entwicklung weiterer Prototypen. Schließlich braucht man das passende Werkzeug, wenn man ein reales Produkt für eine reale, dreidimensionale Welt entwickeln will. Und um mit 3D-Druck zu fertigen, ist zuvor ein entsprechendes dreidimensionales Modell notwendig.
Autodesk hat sich ganz dieser neuen Technologie verschrieben, wie Vorstandschef Carl Bass erklärt. "3D-Druck hat gegenüber herkömmlichen Herstellungsmethoden zwei riesige Vorteile: Es lassen sich sehr schnell individuelle Einzelteile fertigen, was vor allem die Erstellung von Prototypen vereinfacht", sagt Bass. "Zudem kann ein 3D-Drucker jegliche noch so komplizierte geometrische Form produzieren, während traditionelle Fertigungstechnologien mit hochkomplexen Formen nach wie vor ihre Schwierigkeiten haben."
Dieser Ansicht ist auch Ingomar Kelbassa vom Fraunhofer-Institut für Lasertechnik in Aachen: Er sieht in der Umkehrung des bisher herrschenden Produktionsprinzips "Design for Manufacture" den größten Vorteil des 3D-Drucks. "Statt das Design auf die Produktion abzustimmen, läuft es jetzt umgekehrt: Bauteile können rein funktionsoptimiert konstruiert und gefertigt werden", erklärt Kelbassa. "In dieser Hinsicht ist die generative Fertigung wirklich eine Revolution."
Durch die Erweiterung um die zeitliche Dimension zum 4D-Druck werden die Produkte scheinbar lebendig. Die Anwendungsbereiche dafür sind enorm breit: Mit diesem Verfahren ließen sich die unterschiedlichsten Gegenstände aufbauen, sagt MIT-Forscher Tibbits. Vorstellbar seien beispielsweise sich selbst entfaltende Wasserrohre, die so beschaffen sind, dass sie Wellen erzeugen, wenn sie mit Wasser in Berührung kommen – und auf diese Weise das Wasser transportieren.
Eine weitere alltagstauglichere Möglichkeit wäre es Tibbits zufolge, per 4D-Druck Möbel zu konstruieren, die sich beim Käufer zu Hause selbst zusammensetzen. Stundenlange Bastelarbeiten an Möbelbausätzen schwedischer Bauart gehörten dann der Vergangenheit an. "Neben Materialien mit einem Formgedächtnis sind zukünftig auch bioabbaubare Produkte denkbar", ergänzt Steve Rommel vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart. "Das sind Materialien, die sich nach einer gewissen Zeit oder auf einen Impuls hin selbstständig zersetzen können", sagt der Forscher.
Ein Projekt, das in eine solche Richtung geht, hat Stefan Kaierle vom Laser-Zentrum Hannover bereits in Planung: Er arbeitet an speziellen Osteosyntheseplättchen, die bei Knochenbrüchen zum Einsatz kommen sollen. Ähnlich wie das Cochlea-Implantat können sie im Körper ihre Form verändern und sich auf diese Weise veränderten Bedingungen anpassen. "So könnte man gerade Kindern bei der Skoliosetherapie zwei bis drei Operationen ersparen, indem die Implantate beispielsweise mitwachsen", erklärt Kaierle.
Der Hannoveraner Forscher denkt auch schon einen Schritt weiter: "Noch besser wäre es, wenn sich ein solches Implantat später selbst auflösen könnte." Das ist allerdings noch Zukunftsmusik – zumindest bis jetzt.