- Branche MedTech-Strategie für eine Schlüsselindustrie Interview mit BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll / Management & Krankenhaus, April 2025
Wenn es um eine bessere medizinische Versorgung und die wirtschaftliche Zukunft geht, ist die Medizintechnik ein Schlüsselbereich. Die Branche steht aber unter Druck. Wie Medizintechnologien zu einer besseren Gesundheitsversorgung, zu effizienteren Prozessen und Entlastung des medizinischen Personals beitragen können, erläutert BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll im Interview mit Management & Krankenhaus.
ArtikelBerlin, 08.04.2025
© BVMed / Tina Eichner
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Management & Krankenhaus: Das neue Jahr startete mit zahlreichen Veränderungen, seit 1. Januar gilt die ePA für alle und im Februar war Bundestagswahl, wo die Weichen politisch neu gestellt wurden. Welche sind die großen Herausforderungen im Bereich digitale Gesundheitsversorgung?
Dr. Marc-Pierre Möll: In diesem Bereich haben zahlreiche Gesetze in den vergangenen Jahren Grundsteine für eine bessere digitale Gesundheitsversorgung gelegt. In der neuen Legislaturperiode muss der Weg konsequent weitergegangen werden. Um die Potenziale einer digitalen, datengestützten Gesundheitsversorgung auf ein neues Level zu heben, braucht es allerdings einen verlässlicheren Umsetzungsrahmen. Dazu gehört aus unserer Sicht, Daten besser nutzbar zu machen, digitale Versorgungskonzepte für Patientinnen und Patienten zu fördern, einheitliche Datenschutzanforderungen umzusetzen und international anerkannte Standards zu übernehmen.
Die Medizintechnik ist dabei eine wichtige Lösungsanbieterin! Nur mit modernen Medizintechnologien sowie digitalen Versorgungskonzepten ist die digitale Transformation der Gesundheitsversorgung umsetzbar. Sie ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Hardware, Software, Datenerfassung und -verarbeitung. Durch eine datenbasierte Steuerung der Patientenströme könnte ein neues Versorgungslevel ergänzend zu den Sektoren ambulant und stationär begründet werden. Dabei werden Patientinnen und Patienten mittels erfasster Daten zielgenau in die richtige Versorgungsebene bzw. Versorgergruppe geleitet. Fachkräfte werden dadurch dort eingesetzt, wo sie am meisten gebraucht werden. Datenbasierte Medizintechnik besitzt somit das Potenzial, Fachkräfte zu entlasten und zu unterstützen, indem Routinearbeit erleichtert und Zeit für Kernaufgaben freigemacht wird.
M&K: Was fordern Sie als Verband für Hersteller, Zulieferer und Händler der MedTech-Branche von der Politik?
Möll: Unsere Branche muss als das wahrgenommen werden, was sie ist: Ein Aushängeschild der deutschen Wirtschaft. Eine Leitindustrie. Sie ist Innovationstreiber und Jobmotor. Sie ist mittelständisch geprägt und exportstark. Deutschland ist bei Medizintechnologien Weltspitze. Noch. Denn: der Medizintechnik-Standort Deutschland ist stark gefährdet – durch überbordende Bürokratisierung, schleppende Digitalisierung und unzureichende Unterstützung des Mittelstandes als das Herzstück der deutschen Wirtschaft. Um Top-Talente im Land zu halten und Innovationen hier zu entwickeln, brauchen wir standortfreundlichere Rahmenbedingungen.
Wir fordern in einem 10-Punkte-Papier von der neuen Bundesregierung eine eigenständige MedTech-Strategie mit einem ressortübergreifend abgestimmten Maßnahmenplan. Dazu gehören beispielsweise eine beauftragte Person der Bundesregierung für die Medizintechnik im Kanzleramt, ein industriepolitisches Referat im Bundeswirtschaftsministerium, eine Entbürokratisierungsoffensive, ein einheitlicher Mehrwertsteuersatz auf Medizinprodukte sowie eine Vergütungssystematik in der Krankenversicherung, die den medizintechnischen Fortschritt und Digitalisierung beflügelt, Pflegekräfte entlastet und Ressourcen einspart.
M&K: Die Krankenhausreform wurde zwar noch in der alten Legislaturperiode beschlossen, allerdings besteht hier auch noch weiterer Verbesserungsbedarf. Wo sehen Sie den größten Handlungsdruck für das stationäre Gesundheitswesen?
Möll: Ohne Medizinprodukte ist eine Krankenhausversorgung undenkbar. Medizintechnik ist die Grundlage für Diagnosen, Behandlungen und Notfälle. Als essenzieller Bestandteil der modernen Medizin sichert sie die Patientenversorgung und rettet Leben. Die Krankenhausversorgung braucht gezielte Investitionen, mehr Transparenz und schnellere Prozesse, um innovative Medizintechnologien den Patientinnen und Patienten zeitnaher zur Verfügung stellen zu können.
Die aktuelle Krankenhausreform weist hier noch viele Lücken auf. Jetzt braucht es konkrete Maßnahmen, um die stationäre Versorgung zu stabilisieren, effizienter zu gestalten und langfristig zu verbessern. Ein Beispiel: Der Krankenhaussektor leidet unter einem Investitionsstau, besonders bei veralteter Medizintechnik. Dringend benötigte Anreize und Förderprogramme, wie ein Krankenhaus-Klimaschutzfonds, könnten helfen, energieeffiziente und nachhaltige Technologien in Kliniken und Praxen zu etablieren. Außerdem müssen Leistungsvolumina und Vorhaltebudgets den technologischen Fortschritt realistisch abbilden, um eine lückenlose und bedarfsgerechte Versorgung sicherzustellen. Und wir setzen uns für eine stärkere Qualitätsorientierung durch Transparenz und Anreize ein. Die Qualität der Krankenhausversorgung muss durch mehr Transparenz und gezielte Anreize gestärkt werden. Prozess- und Behandlungsergebnisse sollten aus Patientensicht messbar und nachvollziehbar sein. Zudem sind qualitätsabhängige Vergütungsmodelle erforderlich, um Budgets gezielt an hochwertige und effiziente Versorgung zu koppeln.
M&K: Welche Erwartungen hat die MedTech-Branche an die zukünftige (Wirtschafts-)-politik, um den Standort Deutschland und die hiesige Gesundheitsversorgung zu stärken, Stichwort: MDR.
Möll: Weit oben steht das Thema Bürokratieabbau und innovationsfreundliche Regulierung für die MedTech-Branche. Übermäßige Bürokratie und steigende Regulierungsdichte gefährden die Innovationskraft der Medizintechnik in Deutschland. Langwierige Genehmigungsverfahren, komplexe Vorschriften und unkoordinierte Regelungen belasten Unternehmen, insbesondere KMU, und führen zunehmend zur Verlagerung von Forschung und Produktion ins Ausland. Die EU-Medizinprodukte-Verordnung, kurz MDR, hat die Kosten für Entwicklungsprojekte erheblich erhöht, während zusätzliche Vorgaben aus dem Green Deal, Datenschutzrecht und Lieferkettengesetz den administrativen Aufwand weiter verschärfen.
Wir brauchen deshalb eine Entbürokratisierungsoffensive, um Innovationsprozesse zu beschleunigen, Zulassungsverfahren effizienter zu gestalten und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland zu sichern. Die neue Bundesregierung muss in Brüssel dafür kämpfen, die MDR weiterzuentwickeln, zu entbürokratisieren und zu verbessern. Das Regulierungssystem muss um spezifische Regelungen für „Orphan Devices“ und innovative Produkte erweitert werden. Zudem ist eine Reform des fünfjährigen Re-Zertifizierungs-Zyklus erforderlich, um Prozesse effizienter und planbarer zu gestalten. Eine zentrale Verwaltungsstruktur würde Verantwortlichkeiten bündeln, Verfahren vereinfachen und insbesondere KMU gezielt unterstützen. Die konsequente Umsetzung der Grundsätze guter Verwaltungspraxis ist essenziell, um die Effizienz des Systems nachhaltig zu steigern.
M&K: Bei welchen digitalen Innovationen/Anwendungen sehen Sie das größte Potential, die Gesundheitsversorgung zukünftig zu verbessern und Personal zu entlasten?
Möll: Keine Frage, die digitale Transformation des Gesundheitswesens ist entscheidend für eine effiziente, patientenzentrierte Versorgung. Moderne Medizintechnik, Künstliche Intelligenz und Gesundheitsdaten können Prozesse optimieren, die Behandlungsqualität verbessern und den Fachkräftemangel abfedern. Deutschland hinkt jedoch hinterher, insbesondere bei der Nutzung von Gesundheitsdaten für Forschung und Versorgung. Um diese Potenziale auszuschöpfen, müssen regulatorische Hürden abgebaut, Datenzugänge erleichtert und digitale Versorgungskonzepte gezielt gefördert werden.
Um KI in der Medizin gezielt voranzutreiben, müssen wir KI-Technologien besser in die Gesundheitsversorgung integrieren. Beispielsweise, indem wir KI-gestützte Diagnostik und Prozessoptimierung fördern, ohne durch Überregulierung den Markteintritt zu erschweren. Wichtig ist auch, dass wir Interoperabilität und offene Standards etablieren.
Quelle: Erschienen in Management & Krankenhaus, April 2025Externer Link. Öffnet im neuen Fenster/Tab.