- Standpunkt Lieferengpässe bei Arzneimitteln | Fehler der Vergangenheit bei Medizinprodukten nicht wiederholen Gastbeitrag von Marc D. Michel | Vorstand BVMed | PETER BREHM GmbH
ArtikelBerlin, 21.12.2022
Bild herunterladen BVMed-Vorstandsmitglied Marc D. Michel warnt in seinem Gastbeitrag vor dem Hintergrund der aktuellen Lieferengpässe von Arzneimitteln davor, die Fehler in der Pharmapolitik der vergangenen Jahrzehnte bei Medizinprodukten zu wiederholen. Er plädiert insbesondere für pragmatische und vor allem wettbewerbsverbessernde Lösungen für die Umsetzung der EU-MDR, da sich ansonsten der Kostendruck für Medizinprodukte weiter erhöhen, die Lieferfähigkeit durch Verlagerung von Produktions- und F&E-Kapazitäten ins Ausland absenken und mittelfristig die Innovationskraft reduzieren werde.
Deutschland als „Apotheke der Welt"? Das hat heute nur noch eine historische Bedeutung. Bis weit ins 20. Jahrhundert war diese Bezeichnung allerdings nicht unverdient, denn Deutschland war weltweit der wichtigste Entwicklungs- und Produktionsstandort.
Diese Zeiten sind vorbei. Nun beklagen Apotheken extreme Lieferengpässe. Die Ursache: In den letzten Jahrzehnten wurde ein großer Teil der weltweiten Arzneimittelproduktion nach Indien und China verlagert. Eine besorgniserregende Entwicklung, die aktuell verheerende Konsequenzen für die Versorgungssicherheit zeigt.
Wegen den Lieferengpässen bei Medikamenten für Kinder schreibt das Bundesgesundheitsministerium aktuell an einem Gesetz zur „Vermeidung von Lieferengpässen von Arzneimitteln, Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln und Stärkung des Produktionsstandorts EU“. Die bayerische Staatsregierung fordert mehr Kooperationen im Gesundheitswesen – und den Aufbau eines Zentrallagers. Der Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt fordert sogar so etwas wie „Flohmärkte für Medikamente“. Das passiert, wenn eine Nation kaum noch über eigene inländische Produktionskapazitäten verfügt.
Das Problem der Lieferengpässe trifft aber nicht nur Arzneimittel. Auch bei Medizinprodukten haben sich Produktionen in vielen Produktgruppen insbesondere nach Asien verlagert, wie wir zu Beginn der Corona-Pandemie schmerzhaft erfahren mussten.
Es sieht derzeit so aus, als würden die Fehler, die in der Pharma-Industriepolitik in der Vergangenheit gemacht wurden und Auslöser der aktuellen Probleme in der Arzneimittelversorgung sind, sich im MedTech-Markt eins-zu-eins wiederholen.
Auslöser ist die EU-Medizinprodukteverordnung, kurz: MDR. Mit diesem neuen regulatorischen Rahmen zeichnet sich für den deutschen MedTech-Markt mit seiner Vielzahl an kleinen und mittelständischen Unternehmen (93 Prozent der Unternehmen sind KMU!) bereits jetzt ein globaler Wettbewerbsnachteil ab. Die MDR mit all ihren Facetten wird zur Konsequenz haben, dass Europa bei der Medizintechnik von den USA abgehängt wird und sich der Erstmarkt für neue Medizinprodukte von Europa in die USA verlagert.
Schon jetzt ist der wirtschaftliche Druck in Deutschland auf die Hersteller von Medizinprodukten enorm – und er nimmt weiter zu. Die MedTech-Unternehmen benötigen vom europäischen Gesetzgeber dringend praktikable Lösungen für die Umsetzung der MDR. Und wir müssen mit wirtschaftspolitischer Flankierung der Entwicklungs- und Produktionsstandort Deutschland stärken, damit wir die Fehler der Vergangenheit in der Pharmabranche nicht auch bei dem auch arbeitsmarktpolitisch so wertvollen Zukunftsmarkt Medizintechnik wiederholen.
Gerade bei Produkten, die (schwer)kranken Menschen helfen, brauchen wir den klaren politischen Willen, die heimischen Unternehmen und die inländische Produktion zu stärken – ganz im Sinne der zu Corona-Zeiten formulierten Zielstellung einer größeren strategischen Unabhängigkeit von ausländischen Märkten.
Wenn wir nicht zügig pragmatische und vor allem wettbewerbsverbessernde Lösungen für die MDR-Umsetzung einführen, wird der Kostendruck für Medizinprodukte sich weiter erhöhen, die Lieferfähigkeit durch Verlagerung von Produktions- und F&E-Kapazitäten ins Ausland absenken und mittelfristig die Innovationskraft reduzieren. Die Konsequenzen für die Versorgung mit modernen Medizinprodukten werden signifikant sein - nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Wir müssen jetzt schleunigst gegensteuern!
Christian Karagiannidis, Mitglied der Regierungskommission für Krankenhausversorgung, fordert ein Umdenken im Bereich Arzneimittelversorgung: „Wir müssen jetzt schon den Weg gehen, dass wir das Ganze wieder zurückholen. Vielleicht muss man auch diskutieren, dass wir bundeseigene Produktionsstätten brauchen für lebenswichtige Medikamente.“
Dabei wissen alle: Der Aufbau eigener Produktionsstätten im Bereich Arzneimittel würde Jahre dauern. Im Bereich Medizintechnik haben wir diese Produktionsstätten noch. Noch haben wir eine starke, eine innovative lokale MedTech-Industrie, die es zu unterstützen (und schützen) lohnt - für unsere Patientinnen und Patienten!
Zum Autor: Diplom-Kaufmann Marc D. Michel ist seit 2018 Mitglied des Vorstands des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed). Er ist seit 1997 für den mittelständischen Endoprothetik-Hersteller PETER BREHM GmbH in Weisendorf (Franken) tätig und seit 2005 Sprecher der Geschäftsführung.