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 - COVID-19 Fünf Lehren aus der Corona-Pandemie

Artikel24.06.2021

© AdobeStock @fotosr52 Die Corona-Krise war und ist ein Stress-Test. Unser Gesundheitssystem hat sich im Kern als robust erwiesen. Aber auch Defizite sind deutlich geworden. Wir müssen Lehren aus der Corona-Krise ziehen.

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Die Pandemie hat gezeigt, dass Medizinprodukte zu jeder Zeit in ausreichender Menge für medizinische Einrichtungen in Deutschland zur Verfügung stehen müssen. Medizinprodukte sind für die intensivmedizinische Versorgung und für die Regelversorgung der Menschen lebensnotwendig. Aber sie werden auch zur Überwindung der Krise – kein Impfen ohne Spritzen und Kanülen, kein Schutz ohne medizinische Ausrüstung – millionenfach notwendig gebraucht.

Auch die Hilfsmittel- und Homecare-Versorger, die ambulant mit Medizinprodukten versorgen, haben in den letzten Monaten einmal mehr gezeigt, dass sie einen wesentlichen Beitrag leisten zur Entlastung der stationären Strukturen – und essentiell sind für die ambulante Gesundheitsversorgung.

Um künftige Krisen-Situationen besser zu meistern, fordern wir aus Sicht der Medizintechnik-Industrie diese fünf konkreten Schritte:

1. Pragmatische Lösungen verstetigen

In der Pandemie war es möglich, pragmatische Lösungen zu finden, die vorher undenkbar schienen. Gute Lösungsansätze müssen nach der Pandemie verstetigt werden.
Die Verzögerung von Zertifizierungsprozessen gefährdet die Verfügbarkeit von versorgungskritischen Medizinprodukten auf dem deutschen und europäischen Markt. Die Medical Device Regulation (MDR) muss unbürokratisch umgesetzt und noch bestehende Baustellen müssen zügig beseitigt werden:

  • Benannte Stellen müssen in einer konzertierten Aktion aller beteiligten europäischen Behörden schneller notifiziert werden und über ausreichende personelle Ressourcen verfügen.
  • Die europäische Datenbank EUDAMED muss zügig voll funktionsfähig gemacht und in ganz Europa harmonisiert angewendet werden.
  • Die Übergangsfrist für Alt-Zertifikate muss analog der Verschiebung des MDR-Geltungsbeginns verlängert werden, um nicht sehenden Auges in den nächsten Kapazitätsengpass zu treiben.
  • Für bewährte Bestandsprodukte bedarf es pragmatischer Lösungen der Re-Zertifizierung, z. B. über die Anerkennung in klinischer Praxis.
  • Für Medizinprodukte zur Behandlung von seltenen Erkrankungen (Orphan Devices) besteht die Notwendigkeit für humanitäre Ausnahmeregelungen, damit diese nicht aus dem System fallen.
  • Remote-Audits sollten zumindest in Krisenzeiten auch für MDR-Erstaudits grundsätzlich und flächendeckend ermöglicht werden.

Auch die Lösungen, die zur Verwaltungsvereinfachung und administrativen Verschlankung der Hilfsmittelversorgungen gefunden wurden, sind zu verstetigen. Der sinnvolle Umgang mit Verordnungen, die Digitalisierung sowie die Harmonisierung von Verwaltungsprozessen sind in die Zukunft zu transferieren.

2. Strategische Souveränität anstreben

Deutschland muss im Verbund mit der Europäischen Union eine strategische Souveränität bei versorgungskritischen Medizinprodukten und Arzneimittel aufbauen. Die zeitweise Unterbrechung von Lieferketten hat gezeigt, wo einseitige Abhängigkeiten bestehen und Handlungsoptionen möglich sind. Wir brauchen eine stärkere Widerstandsfähigkeit durch Diversifizierung. Das erhöht unsere Wettbewerbsfähigkeit im Rahmen einer nachhaltigen Versorgungssicherheit. Dafür benötigen wir:

  • den Ausbau einer starken europäischen Forschung und Produktion für Medizinprodukte sowie den Schutz des geistigen Eigentums als Motor für Innovationen.
  • die Unterstützung von Forschungsvorhaben in Form von Förderprogrammen, die ausdrücklich auf die medizintechnischen Unternehmen des Mittelstands ausgerichtet sind.
  • die Stärkung des Medizintechnik-Standorts Deutschland: Orientiert an den Förderprogrammen zum Auf- und Ausbau der Produktion von persönlichen Schutzausrüstungen während der Corona-Pandemie sind weitere Programme für versorgungskritische Medizinprodukte in Deutschland und der EU zielführend.
  • robuste Produktions- und Lieferketten, nachhaltig abgesichert durch internationale Handelsverträge mit verlässlichen Partnern innerhalb der EU und weltweit. In der Krise führten spontane, multiple und unkoordinierte Bestellungen zu Lieferengpässen. Zudem kam es zu einer Kettenreaktion durch protektionistische Maßnahmen und Grenzschließungen.
  • eine noch engere Kooperation mit internationalen Organisationen wie zum Beispiel der WHO ist in Krisenzeiten unabdingbar. Deutschland ist eine der bedeutendsten medizintechnischen Exportnationen. Wir haben ein nationales Interesse an einem starken medizintechnischen Wirtschaftsstandort in Deutschland. Wir haben ein europäisches Interesse an einer krisenfesten medizinischen Infrastruktur in Deutschland und Europa, eingebunden in die Kooperation der europäischen Länder und EU-Behörden. Aber wir haben auch eine internationale Verantwortung zur globalen Solidarität.

3. Kostendruck reduzieren

Die Pandemie hat enorme Kosten verursacht, die die Finanzierungssysteme der Gesundheitsversorgung künftig belasten werden.

  • Zur Entlastung von Patient:innen, Gesundheitseinrichtungen und Krankenversicherungen muss die Mehrwertsteuer für alle Medizinprodukte einheitlich auf 7 % gesenkt werden. Dies würde der Lebensnotwendigkeit der Produkte Rechnung tragen und gleichzeitig das Gesundheitssystem finanziell entlasten.
  • Kostensenkungen dürfen nicht dazu führen, dass die Qualität von Versorgungen, ambulant wie stationär, in den Hintergrund rückt. Vielmehr müssen Versorgungskonzepte, bspw. einer qualitätssicheren Hilfsmittelversorgung, langfristig gedacht und Einsparungen in weiteren Segmenten der Gesundheitsversorgung berücksichtigt werden. Hierfür ist das Töpfedenken zu überwinden. Zudem ist der Qualitäts- anstelle des Preiswettbewerbs zu stärken.
  • Der Fixkostendegressionsabschlag im G-DRG-System sollte für die Jahre 2021 und 2022 ausgesetzt werden.
  • Kostensteigerungen, die durch die Corona-Krise in bestimmten Produktbereichen entstanden sind, müssen durch die Sachkostenabsenkung im DRG-System ausgesetzt werden.
  • Die veranlassten besonderen Überprüfungen der Krankenhausleistungen durch die Kostenträger sollten bis zur vollständigen Rückkehr zur regulären Krankenhausversorgung nur noch in begründeten Einzelfällen zulässig sein.
  • Mittel- und langfristig benötigen wir einen gesamtgesellschaftlichen Dialog über den Medizintechnik-Standort Deutschland und ein Konjunkturprogramm für die mittelständisch geprägte MedTech-Branche – möglichst abgestimmt auf europäischer Ebene.

4. Krisenvorsorge strukturell stärken

Die nationale Krisenvorsorge sollte in einem europäischen Krisenmanagement (HERA, ECDC EMA) eingebettet sein. Wir benötigen in Zukunft ausreichend medizinische Kapazitäten, damit nicht erneut die Regelversorgung leidet und eine Vielzahl von Operationen und Behandlungen verschoben werden muss. Um künftig eine Krisenversorgung sicherstellen zu können, schlagen wir vor:

  • Hochleistungs- und Maximalversorger vollumfänglich nach dem Stand der Technik, digital und personell adäquat auszustatten. Grund- und Regelversorgungshäuser müssen apparativ modernisiert werden, damit diese im Versorgungsnotfall für die Regelversorgung und Verlagerung der Patient:innen einspringen können. Zudem sollten ambulante Versorgungszentren in die Reservekapazitäten mit einbezogen werden.
  • eine schnelle personelle Unterstützung in Krisenzeiten durch medizinische Fachkräfte der Bundeswehr und den Freiwilligendienst.
  • den Zugang zu Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen für die Mitarbeitenden von Medizintechnikherstellern und -versorgern (Hilfsmittel und Homecare) jederzeit sicherzustellen. Zugleich müssen Krankenhäuser so ausgestattet werden, dass eine virtuelle Präsenz der Medizinprodukteberater:innen in Operationssälen zukünftig überall zuverlässig möglich ist. Denn diese Mitarbeitenden sind für die Gesundheitsversorgung relevant.
  • eine stärkere Transparenz und Koordination bei den Krisenstäben zu gewährleisten. Die Hersteller von Medizinprodukten, die Hilfsmittel- und Homecare-Versorgung sowie deren einschlägige Industrieverbände sollten frühzeitig und regelhaft in die Krisenstäbe der Bundesregierung eingebunden werden.
  • mit allen relevanten Akteuren in einen strategischen Dialog zu treten, um gemeinsam mit dem Bund und den Ländern zu definieren, welche und wie eine systemrelevante Infrastruktur vorgehalten werden muss.
  • die Hilfsmittel- und Homecare-Versorger, die ambulant mit Medizinprodukten versorgen und diese abgeben, zur Sicherung der ambulanten Versorgung zwingend in die Konzepte einzubeziehen. Verzögerungen und Unklarheiten bzgl. derer Systemrelevanz können so verhindert und die Leistungsfähigkeit ambulanter Strukturen sichergestellt werden.
  • in Ergänzung zur Lagerhaltung kritischer Rohstoffe und Güter eine „Digitale Bestandsplattform versorgungskritischer Medizinprodukte“ aufzubauen, um die Tendenz zu massiven Über- und Mehrfachbestellungen in Krisensituationen und die damit verbundenen, intransparenten Verteilungsproblemen künftig zu vermeiden. Konkret sollten sechs Entwicklungsschritten gegangen werden: 1. Definition kritischer Medizinprodukte | 2. Ermittlung von Rohstoffen und Produkten mit fehlender EU-Produktionskapazität | 3. Nutzung von einheitlichen, global eingeführten Produktidentifikations- und Klassifikationsstandards | 4. Festlegung der Teilnehmenden an der Bestandsplattform und Zugänglichkeit | 5. Aufsetzen eines Pilotprojektes | 6. Entwicklung einer Strategie zur Vermeidung von außereuropäischen Abhängigkeiten.

5. Soziale Datenwirtschaft aufbauen

Der Weg der Digitalisierung im Gesundheitsbereich muss konsequent fortgesetzt und ausgeweitet werden. Wir brauchen eine Datenökonomie nach dem Vorbild der Sozialen Marktwirtschaft. Daten sind der Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Wir müssen Chancen und Risiken besser abwägen. Im Gesundheitswesen kostet es jeden Tag Menschenleben, Daten nicht zu teilen. Die Stärkung der europäischen Digitalwirtschaft durch einen ausbalancierten Umgang mit Daten ist die zentrale Zukunftsaufgabe.

  • Wenn die europäische Medizinprodukte-Industrie künftig weiterhin in der Champions League mitspielen soll, braucht sie im Interesse einer hochinnovativen Gesundheitsvorsorge den gleichberechtigten Zugang zu Forschungsdaten. Die Medizintechnik-Industrie muss ausdrücklich zu den nutzungsberechtigten Institutionen nach § 303e SGB V gehören, die Zugriff auf das Forschungsdatenzentrum haben.
  • Gesundheitsdaten sind am wertvollsten, wenn sie standardisiert und strukturiert vorliegen. Standards dürfen nicht einseitig für den deutschen Gesundheitsmarkt gesetzt werden, sondern anhand internationaler Standards gemeinsam mit der MedTech-Branche.
  • Nicht nur Datenlieferung und -struktur, sondern auch die Regulierung muss bundeseinheitlich erfolgen. Wir brauchen keine sich widersprechende Vielzahl an Landesdatenschutzbeauftragten, sondern nur einen Bundesdatenschutzbeauftragten.
  • Fast-Track-Verfahren wie für digitale Gesundheitsanwendungen sollten kontinuierlich auf alle hochinnovativen Medizinprodukte ausgedehnt werden.
  • Die Potentiale, die die MedTech-Branche bietet, um Versorgung weiterzuentwickeln, stationäre Aufenthalte zu reduzieren, Prozesse zu optimieren, müssen gezielt genutzt werden. Robotik, Künstliche Intelligenz, Telemedizin und digitale Pflegeunterstützung müssen wie selbstverständlich in die Gesundheitsversorgung implementiert werden.

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Stand: 22. Juni 2021

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