- Telemedizin Therapie in Zeiten von Corona: Mit Telemedizin chronischen Erkrankungen adäquat begegnen Digitale medizintechnologische Lösungen ermöglichen sichere, qualitative und individuelle Versorgung der Patienten
ArtikelWiesbaden
Gerade chronisch kranke Patienten benötigen eine regelmäßige ärztliche Kontrolle und Behandlung. Vor dem Hintergrund der aktuellen COVID-19-Situation können hier medizintechnologische Innovationen zum Infektionsschutz beitragen und digitale Lösungsansätze für die Behandlung und Therapiebegleitung liefern, so das Fazit der Experten auf einer Veranstaltung der Aktion Meditech. Videosprechstunden reduzieren die Virus-Ansteckungsgefahr in der Klinik oder der ärztlichen Praxis. Eine stärkere Vernetzung aller Beteiligten über die Telemedizin gestattet es, Qualität und Geschwindigkeit der Diagnostik sowie die individuelle Therapieanpassung zu verbessern.
Um den aktuellen epidemiologischen Herausforderungen zu begegnen und die Behandlungsqualität auch zukünftig sicherzustellen, brauche es innovative Versorgungsansätze wie die Telemedizin, betonte Prof. Dr. Christoph Schöbel vom Zentrum für Schlaf- und Telemedizin der Universitätsmedizin Essen. Derzeit müssten aufgrund der Corona-Situation Risikogruppen-Patienten, die eigentlich sonst regelmäßig zur Kontrolle ins Krankenhaus kamen, zur Verringerung von Ansteckungsrisiken und auch aus Kapazitätsgründen den Kliniken fern bleiben. „Digitale Werkzeuge können uns gerade jetzt im Therapie-Alltag helfen“, so Schöbel. Durch die Corona-Pandemie sei beispielsweise innerhalb der vergangenen Monate die Zahl der für die Videosprechstunde angemeldeten Arztpraxen auf aktuell über 25.000 gestiegen.
„Die Telemedizin beinhaltet alle technischen Lösungen, die über die Fernübertragung von Daten die Kommunikation verbessern oder es ermöglichen, die Vitalwerte zwischen Patienten und Ärzten zu übermitteln“, erläuterte Schöbel. „Vor allem bei chronischen Erkrankungen ermöglicht ein umfassender Datenüberblick eine ganzheitliche Betrachtung und kann helfen, zeitnah lebenswichtige Therapieentscheidungen zu treffen“. Per App könnten wertvolle Daten gesammelt, Diagnosen sicherer gestellt und Unterstützung bei der Therapie angeboten werden. Beispielsweise können in der Schlafmedizin telemedizinisch verschiedene Fachdisziplinen, wie etwa die Neurologie, Kardiologie oder die HNO, in die Therapie mit einbezogen werden. Die häusliche Schlafmessung kann dabei zur Schlafoptimierung beitragen. Schöbel verwies in Anbetracht der aktuellen Corona-Situation auch auf die Bedeutung und Notwendigkeit der kurzfristigen Etablierung telemedizinischer Therapiekontrollen bei häuslicher Überdruck- und Beatmungstherapie. Bei den chronisch kranken Patienten, bei denen heute schon eine außerklinische Beatmung wegen chronischem Atmungsversagen durchgeführt wird und die normalerweise zur Kontrolle und Justierung in die Klinik kommen, handele es sich um eine Höchstrisikogruppe im Falle einer COVID-19-Infektion. Ein telemedizinisches Management dieser Risikopatienten kann auch hier helfen, die weitere Behandlung sicher zu stellen.
Aus ärztlicher Sicht bestehe derzeit übergreifend aber noch das Problem, dass es zum Einsatz von Telemedizin zwar viele Positionspapiere, aber noch keine wirkliche Leitlinie gibt. Schöbel hob auch die Faktoren hervor, damit Telemedizin überhaupt funktionieren kann: Der richtige Sensor bzw. die richtigen Geräte, eine sichere und richtige Übertragung, eine ausreichende digitale Kompetenz und Adhärenz, die Auswahl der richtigen Patienten, die richtigen standardisierten Interventionen sowie die richtigen Akteure im richtigen, intersektoralen Netzwerk mit einer fairen Vergütung.
Digitale Versorgungskonzepte optimieren die Kardiologie
Auch Dr. Eimo Martens, Klinikum rechts der Isar der TU München, unterstrich die Bedeutung der Telemedizin als wichtigen Baustein in der Behandlung von chronisch Kranken. Als Beispiel nannte der Kardiologe die Zahl von einer Million Patienten mit aktiven kardialen Implantaten in Deutschland. Dies bedeute auch 2,23 Millionen Nachsorgen, 1,11 Millionen Sprechzimmer-Stunden und 1,1 Millionen Arzt- und MTA-Stunden. „Die Telemedizin in der Device-Therapie ermöglicht heute ein engmaschiges Monitoring für Patienten, die einen Herzschrittmacher, einen implantierbaren Defibrillator oder ein Herzinsuffizienzsystem tragen“, erläuterte Martens. „Damit sind Präsenznachsorgen von implantierten kardialen Aggregaten nur noch selten notwendig.“ Durch zeitnahe Interventionen können Krankenhausaufenthalte verhindert und das Überleben verlängert werden. Martens veranschaulichte dies unter anderem an der telemedizinischen Überwachung der Herzinsuffizienz, bei der täglich Vitalwerte des Patienten übermittelt werden und Telemedizin-Zentrum, Klinik und Hausarzt bei der Therapie miteinander kooperieren, sowie der Frühdetektion von Aggregat-Problemen. Eine nahezu vollständige Virtualisierung der kardiologischen Ambulanzen ermögliche es derzeit auch, auf die Herausforderungen durch COVID-19 in der klinischen Praxis zu reagieren.
„Auch die Behandlung von COVID-19-Patienten lässt sich telemedizinisch verbessern“, so Martens. Mit TeleCOVID etwa besteht die Möglichkeit eines Monitorings von Covid-19-Erkrankten mit Ohrsensoren, bei dem kontinuierlich Parameter wie Körpertemperatur, Sauerstoffsättigung, Atemfrequenz und Herzfrequenz gemessen werden. „Damit ist es möglich, eine klinische Verschlechterung frühzeitig zu erkennen“, so Martens. Um bestehende Barrieren in der Telemedizin zu überwinden, seien die Integration von Sensor-Daten in das Klinik- oder Praxis-System obligat und moderne Kooperationsnetzwerke notwendig, resümierte Martens.
Nierenpatienten: Heimhämodialyse ermöglicht mehr Selbstständigkeit
Bei einem chronischen Nierenversagen lässt sich die Funktion der Nieren nicht wieder herstellen. Patienten mit dieser als Niereninsuffizienz bezeichneten Unterfunktion einer oder beider Nieren sind auf die Dialyse oder letztendlich auf eine Nierentransplantation angewiesen. „In Deutschland werden derzeit etwa 100.000 Menschen mit Dialyseverfahren behandelt“, berichtetete Dr. Syrus Hafezi-Rachti vom Dialyse- und Nierenzentrum Mannheim. Hämodialyse, Peritonealdialyse und Hämofiltration sind Verfahren, die zum Ziel haben, die Nierenfunktion, also das Herausfiltern von Schadstoffen aus dem Blut, zumindest teilweise zu ersetzen. Dazu bedienen sich alle drei Verfahren halbdurchlässiger (semipermeabler) Membranen, die nur die gewünschten Substanzen wie beispielsweise Wasser und Elektrolyte durchlassen und die auszuscheidenden Stoffwechselendprodukte zurückhalten. Das heute gebräuchlichste Verfahren ist die Hämodialyse (HD).
Dialysepatienten müssen sich mindestens dreimal pro Woche für 4 Stunden einer „Blutwäsche“ unterziehen. „Neben den zeitraubenden Therapien und der Anreise in das Dialysezentrum muss sich der Patient dabei auch im Alltag umstrukturieren“, betonte Hafezi-Rachti. Dies beinhalte eine bewusst auf die Nierenerkrankung abgestimmte Ernährung, die strikte Einhaltung der erlaubten Flüssigkeitszufuhr sowie Beruf, Familie und Therapie miteinander zu vereinbaren. Dies gelte besonders an dialysefreien Tagen. „Neben der Dialyse im Zentrum gibt es aber auch die Möglichkeit, die Therapie zuhause durchzuführen“, so der Nephrologe. Die Heimhämodialyse gestattet es dabei Nierenpatienten, im Alltag so selbstständig wie möglich zu bleiben. „Aktuell führen das allerdings nur weniger als 1 Prozent aller Patienten durch, obwohl laut Studien etwa 25 Prozent dafür geeignet sind“, erläuterte Hafezi-Rachti. Voraussetzung sei, dass die Patienten medizinisch und kognitiv dazu in der Lage seien und dass sie auch die wohnlichen Voraussetzungen mitbringen.
„Die Digitalisierung erlaubt es dabei , die Heimhämodialyse mit unseren Patienten zuhause effizient zu gestalten“, so der Experte. Ein wichtiger Schritt sei die automatisierte Therapiedatenübertragung vom Heimdialyseplatz des Patienten ins betreuende Zentrum. Die vernetzte Dialysemaschine sowie die Waage beim Patienten zuhause übermitteln dazu alle wichtigen Behandlungsparameter direkt nach der Therapie. Somit muss der Patient kein Protokoll ausfüllen und die Daten liegen zeitnah dem Zentrum bzw. dem behandelnden Arzt vor. Die Möglichkeit der Betreuung und Kommunikation mit den Patienten über eine App erleichtere zudem die Datenübersicht und die Qualitätssicherung.
„Im Hinblick auf COVID-19 kann die Umstellung auf die Heimdialyse die betreuenden Zentren entlasten“, sagte Hafezi-Rachti. „Den Patienten ermöglicht dies eine Kontaktreduzierung und bietet eine Behandlungsoption bei pandemiebedingter Schließung von Schichten.“ Die Videotelefonie sei dabei ein sicherer Weg, um Fragen zu besprechen oder Informationen auszutauschen. Zwar könne diese den persönlichen Kontakt nicht ersetzen, durch die Bildübertragung könne aber der Gesundheitszustand des Patienten besser beurteilt werden. Die Heimhämodialyse sei damit aus medizinischer, sozialer und medizinökonomischer Sicht sinnvoll, so Hafezi-Rachti abschließend.
Quelle: Aktion Meditech Pressemeldung vom 16. Dezember 2020