- Forschung-Entwicklung Dr. Thorsten Siess: Bahnbrechende Technologien
Die kleinste Blutpumpe der Welt hilft kranken Herzen dabei, sich nach einem Schock schnell wieder zu erholen. Dr. Thorsten Sieß, Erfinder der minimalinvasiven Herzpumpe, über Hightech-Technologie made in Germany.
ArtikelAachen, 03.05.2023
Dr. Sieß, wie haben Sie zur Medizintechnik gefunden?
Ich habe damals Maschinenbau an der technischen Universität Aachen studiert. In einer Vorlesung hörte ich zum ersten Mal von einer Blutpumpe mit einer Mini-Turbine als Antriebseinheit in einem Katheter. Ich fand das sofort faszinierend und habe meinen Professor gefragt, ob ich bei dem Projekt mitwirken kann. Letztlich habe ich meine Diplomarbeit über Miniatur-Blutpumpen geschrieben, zu dem Thema promoviert und später ein forschendes Unternehmen gegründet, das innovative Systeme zur mechanischen Herzunterstützung entwickelt.
In welchen Bereichen kommen diese Herzunterstützungssysteme zum Einsatz?
Wir entwickeln Herzunterstützungssysteme für die Kardiologie und Herzchirurgie. Unser Hauptprodukt ist die Impella® Herzpumpe, die kleinste Herzpumpe der Welt. Dabei handelt es sich um eine winzige hochleistungsfähige Katheterpumpe, die über große Blutgefäße bis in das Herz eingeführt wird. Von dort pumpt sie bis zu fünfeinhalb Liter Blut in der Minute durch den Körper – das sind rund 7.000 Liter Blut täglich und entspricht in etwa der Leistung eines gesunden Herzens. Nötig ist das zum Beispiel bei einem akuten Herzinfarkt. Dabei kommt es zu einem Verschluss der Herzkranzgefäße, wodurch das Herzmuskelgewebe nicht mehr ausreichend mit Blut und Sauerstoff versorgt wird und innerhalb kurzer Zeit absterben kann. Vom Chirurgen oder Kardiologen im Herzen platziert, kann die Herzpumpe die Durchblutung des ganzen Körpers sicherstellen und weitere Gewebeschäden verhindern. Das entlastet das Herz, es kann sich erholen und regenerieren.
Was hat sich im Laufe der Jahre bei der Entwicklung von Herzpumpen getan?
Anfang der 90er-Jahre waren die Herzunterstützungssysteme noch sehr groß. Sie hatten daumendicke Kanülen, wurden von einem externen Motor angetrieben und samt Steuereinheit und Batterie in einem Kofferwagen mitgeführt. Die von uns entwickelte Herzpumpe hat heutzutage in etwa den Umfang einer Salzstange und einen komplett integrierten Miniatur-Elektromotor. Sie besteht aus dünnen flexiblen Schläuchen und kann minimalinvasiv über große Blutgefäße bis zum Herzen vorgeschoben werden. Das ist deutlich schonender und komplikationsärmer für die Patienten. Alle Daten können zudem durch eine cloudbasierte Technologie auf dem Smartphone eingesehen und von Spezialisten überwacht werden. Das hat die Patientenbetreuung und die Überlebenschancen für Betroffene deutlich verbessert: Anfang der 90er-Jahre lag die Überlebensrate bei einem herzinfarktbedingten Schock bei etwa 20 Prozent. Wenn wir heute alles richtig machen, überleben bis zu 80 Prozent der Betroffenen – die meisten davon mit einem sehr gut erholten Herzen.
Wie sieht die Herzpumpe der Zukunft aus?
Digitale Vernetzung und das Zur-Verfügung-Stellen, Analysieren und Interpretieren von Daten spielen eine immer wichtigere Rolle. Bei einem Großteil unserer heutigen Entwicklungen geht es um den Einsatz immer intelligenterer Systeme und Smartphone-Nutzung. Zudem arbeiten wir gerade an einer Mini-Herzpumpe für Säuglinge – schließlich haben wir diese großartige Technologie: Die kleinste Blutpumpe der Welt, warum sollte die nicht im kleinsten Patienten der Welt funktionieren? Was es heute noch nicht gibt, ist morgen Realität.
Was ist Ihre Motivation für die Forschung?
Wir forschen für die Herzerholung. Unser Ziel ist es, dass Patienten nach einem kardiogenen Schock mit dem eigenen erholten Herzen nach Hause gehen – das ist das Maß der Dinge. Für uns steht der Mensch an erster Stelle. Es berührt mich und mein Team jedes Mal zutiefst, wenn uns Patienten erzählen, wie unsere Herzpumpe ihnen das Leben gerettet und ihre Lebensqualität verbessert hat. Das motiviert mich sehr. Ebenso wie das Arbeiten in einem internationalen interdisziplinären Team, das visionär denkt und mit Herzblut an neuen innovativen medizintechnischen Geräten für die Herzgesundheit der Menschen weltweit arbeitet. Denn warum sollte eine bahnbrechende Technologie nicht allen Menschen zugutekommen – auch in Entwicklungsländern? Das ist unser Weg für die Zukunft. Dafür gehen wir Wege, die es noch nicht gibt.
Welche Herausforderungen sehen Sie für den Forschungsstandort Deutschland?
Deutschland verliert für hochqualifizierte Fachkräfte und Start-up-Gründer zunehmend an Attraktivität. Das betrifft nicht nur die Medizintechnik, sondern alle Branchen. Die Bereitschaft, ein Unternehmen zu gründen, ist zwar noch vorhanden. Aber es ist immer schwieriger, Kapitalgeber zu finden. Denn eine Investition in die Entwicklung eines neuen Medizinprodukts, die sich erst nach rund 15 Jahren rentiert, verblasst in einem gewinnorientierten Kapitalmarkt, der sich an Quartalszahlen orientiert. Auf dem guten Ruf des „German Engineering“ können wir uns längst nicht mehr ausruhen. Nichts, was man erreicht hat, ist morgen noch gegeben. Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, muss Deutschland bessere Finanzierungsmöglichkeiten für forschungsbasierte Existenzgründungen bieten und für internationale Talente wieder attraktiver werden.