- Körperstolz Patientengeschichte Thomas Müller
Artikel17.05.2018
Thomas Müller (58) ist Sprecher von „Palatina“, einer Selbsthilfegruppe für Kopf-Hals-Operierte in Kaiserslautern. Nach seiner zweiten Krebserkrankung wurde ihm 2006 der Kehlkopf entfernt. Seitdem spricht Thomas mithilfe eines Stimmventils und gibt anderen Betroffenen Tipps im Umgang mit dem Tracheostoma (Halsöffnung): „Ich bin jemand, der aufbaut und nicht aufgebaut werden muss.“ Sein Leben hat sich seit der Operation zwar verändert, eingeschränkt fühlt er sich aber nicht: „Ich fahre gerne in den Urlaub nach Italien, treibe Sport und koche mit meiner Freundin. Das Tracheostoma nimmt dabei wenig Raum in meinem Leben ein. Es gehört einfach zu mir.“
Herr Müller, was treibt Sie in Ihrem Leben an?Es gibt viele Dinge, die mir Kraft geben und mit denen ich mich im Laufe meines Lebens intensiv beschäftigt habe. Früher bin ich leidenschaftlich gerne Motorrad gefahren und habe damals auch einen Verein für Fans der italienischen Motorradmarke Ducati gegründet. Dadurch war ich viel in Italien unterwegs. Der Stil und die Lebensart Italiens hatten schon immer einen großen Reiz auf mich ausgeübt. Davor habe ich lange Bodybuilding betrieben und bin viel Rad gefahren. Sportlich aktiv bin ich immer noch gerne und gehe daher regelmäßig ins Fitnessstudio. Doch ich genieße auch die Zeit zu Hause mit meiner Lebenspartnerin. Gerade richten wir uns eine neue Küche ein und erfreuen uns an gutem Wein und kulinarischen Köstlichkeiten. Und ich lasse wieder ein altes Hobby aufleben: Ich sammle Uhren und stelle Lederarmbänder her. Durch meine Hobbys habe ich Kontakte in die ganze Welt geknüpft und bin an Orten gewesen, wo ich sonst nie hingekommen wäre.
Sie sind Teil der Kampagne „Körperstolz“. Warum?Ich habe große Freude am Leben und möchte mit meiner Teilnahme anderen Betroffenen zeigen, dass es auch nach einer Kehlkopfoperation weitergeht. Spaß und Freude können ein Teil des Lebens bleiben.
Ich bin stolz auf meinen Körper, da er stark genug war, zwei Krebserkrankungen zu überstehen und mir weiterhin ein erfülltes Leben ermöglicht.
Ja, genau. Das fing 1981 mit der ersten Erkrankung an. Innerhalb eines Jahres entfernte man mir beide Stimmbänder. Bald konnte ich jedoch wieder sprechen, zwar mit heiserer Stimme, aber ansonsten ohne Einschränkungen. Meine Taschenbänder übernahmen dabei die Funktion meiner entfernten Stimmbänder. Taschenbänder liegen oberhalb der Stimmbänder und können auch einen Ton erzeugen. 25 Jahre später erhielt ich die zweite Diagnose: Kehlkopfkrebs. Daraufhin musste mein Kehlkopf entfernt werden.
Wie können Sie jetzt sprechen?Ein Stimmventil, das zwischen Luft- und Speiseröhre liegt, ermöglicht mir problemloses Sprechen. Es ist ein Einwegventil, das die Luft vom Ausatmen über die Luftröhre in die Speiseröhre leitet und dabei schwingungsfähige Strukturen als Ersatz für die Stimmbänder nutzt. Das Stoma muss beim Sprechen verschlossen werden. Das mache ich mit dem Finger, es gibt aber auch freihändige Modelle.
Warum bevorzugen Sie ein Modell, bei dem Sie das Stoma manuell verschließen müssen?
Mir persönlich gefällt es besser als das Freisprechventil, da das Freisprechventil Atemgeräusche erzeugt. Das ist gerade in sehr leisen Umgebungen unangenehm. Auch benötigt das Freisprechventil zum Verschließen des Stomas einen Ansprechdruck, der von einem „Plopp-Geräusch“ gefolgt ist. Durch das manuelle Verschließen des Stomas kann ich das Geräusch elegant vermeiden. Trotzdem hat das Freisprechventil natürlich einen großen Vorteil: Ich kann gleichzeitig sprechen und beide Hände benutzen. Deswegen setze ich in manchen Situationen auch gerne das Freisprechventil ein.
Müssen Sie etwas im Umgang mit der Stimmprothese beachten?Ja, aber nicht viel. Ich reinige das Ventil täglich, da Flüssigkeit oder Essensreste hineingelangen. Als Hilfsmittel benutze ich dazu eine Pinzette, ein Absauggerät und Reinigungsbürsten. Auch tausche ich das Ventil regelmäßig aus, da es nach einigen Monaten undicht wird. Der Austausch erfolgt in der Klinik und ist nach wenigen Minuten erledigt. Für die Pflege benötige ich keine ärztliche Unterstützung, sondern ich übernehme sie selbst. Für mich ist das voll in Fleisch und Blut übergegangen, wie Zähneputzen. Die Pflegeprodukte sind sehr leicht zu transportieren, sodass ich mobil bin und ohne Weiteres in den Urlaub fahren kann.
Aufgrund der kompletten Laryngektomie, also der Entfernung des Kehlkopfes, atme ich ausschließlich über das Tracheostoma. Dadurch gehen die Funktionen der Nasen- und Mundatmung, wie Reinigung, Befeuchtung und Erwärmung der Luft, verloren. Jetzt übernimmt das ein HME-Filter für mich. HME steht für Heat and Moisture Exchanger. Auch schränkt das Tracheostoma meine Fähigkeit zu riechen ein. Ich rieche nur, wenn ich mich aktiv dafür entscheide und einen Unterdruck im Mundrachenraum erzeuge – das sogenannte höfliche Gähnen. Dadurch sauge ich Luft in die Nase und rege das Riechgewebe an. Einen Vorteil gibt es jedoch: Der Luft- und Speiseweg sind vollständig voneinander getrennt. Ich kann mich also nicht mehr verschlucken!
Mein Arbeitgeber hat mich nach der ersten Operation 1981 unterstützt. Trotzdem musste ich aufgrund der Staubbelastung meinen Beruf als Zahntechniker aufgeben. Später wurde ich Masseur und Physiotherapeut und hatte lange Zeit sogar eine eigene Praxis. Nach der zweiten Diagnose 2006 bin ich in Frührente gegangen und bin seitdem nur noch ab und an für Freunde und Verwandte als Physiotherapeut tätig. Das gibt mir viel Zeit für ehrenamtliches Engagement.
Wo engagieren Sie sich?Ich habe in Kaiserslautern eine Selbsthilfegruppe für Kopf-Hals-Operierte gegründet, deren Sprecher ich bin. Wir nennen uns „Palatina“ und beraten Betroffene auf dem Weg zur Operation, durch die Zeit der Heilungsbewährung und danach. Auch möchte ich mich längerfristig im Landes- und Bundesvorstand einbringen, um bessere Unterstützungsstrukturen für Patienten zu schaffen. Die Arbeit mit Betroffenen bereichert mich sehr. Mir tut der Austausch gut, und es ist spannend zu erfahren, wie andere Menschen ihre individuellen Herausforderungen meistern.
Wurden Sie gut auf Ihre Operation vorbereitet und danach unterstützt?Ja und nein. In medizinischer Hinsicht habe ich mich immer gut beraten gefühlt. Noch heute bin ich in Kontakt mit Kliniken. Die moderne Forschung und Medizintechnologie finde ich beeindruckend. Ich hatte immer großes Vertrauen in sie, dachte: „Es wird schon eine Lösung geben.“ Aber Angebote von Betroffenengruppen lehnte ich ab. Ich fühlte mich stark genug, es allein zu schaffen. Ich bin jemand, der aufbaut und nicht aufgebaut werden muss. Den Kontakt zu anderen Menschen, denen es geht wie mir, habe ich erst später gesucht. Deswegen habe ich die Selbsthilfegruppe gegründet.
Andere aufzubauen, ist das so etwas wie Ihr Lebensmotto?Gewissermaßen ja. Ich hatte eine schöne, bewegte Kindheit. Mein Vater reiste als Musiker viel durch Europa – meine Mutter und mich immer dabei. Dadurch begegneten mir schon als Kind viele interessante Menschen, die mir eine optimistische Grundeinstellung mitgaben. Und seien wir mal ehrlich: Selbstmitleid bringt niemanden weiter. Vielmehr sollten wir alle dankbar sein für das, was wir haben. Ich habe zwei Krebserkrankungen überlebt. Das ist doch ein wahres Wunder, oder?
Da haben Sie recht. Wie würden Sie Ihre Lebensqualität beschreiben?Die Pflege des Tracheostoma nimmt an sich keinen großen Raum im Alltag ein. Die Stimmprothese macht außerdem einen problemlosen Austausch mit Mitmenschen möglich. Wir Kehlkopflose gehören zu den kommunikativsten und fröhlichsten Patienten! Das belegen Statistiken, und das merke ich auch täglich im Umgang mit anderen Betroffenen.