- Gelenkersatz bewegt Patientengeschichte Ines Mix: Lange Leidensgeschichte mit Happy End
Artikel02.07.2019
Seit einem Fahrradunfall vor 25 Jahren leidet Ines Mix unter Schmerzen im linken Knie. Mehrere OPs bringen kaum Besserung, und der missglückte Einsatz eines künstlichen Gelenks macht die Beschwerden teils noch schlimmer – bis das fehlerhafte Gelenk 2018 ausgetauscht wird. Heute geht es ihr sehr viel besser und sie hat sich neue Ziele gesteckt.
Es passiert 1994, Ines Mix ist gerade mal Mitte 20. Sie erinnert sich: „Ich bin mit dem Fahrrad unglücklich gestürzt und habe mir den Unterschenkel verdreht.“ Kreuzband und Meniskus sind gerissen. Sie wird operiert, das Kreuzband ersetzt. Die OPs bringen nur kurzfristig Erleichterung, die Ärzte raten zu weiteren Eingriffen. Es wird eine Arthroskopie des Knies gemacht, bei der Schäden am Gelenk behoben werden. Als auch das keine Linderung bringt, wird eine Replastik des Kreuzbandes eingesetzt.
„Über die Jahre bin ich fast ein Dutzend Mal operiert worden“, sagt sie. „Es wurde aber letztlich eher immer schlimmer.“ Die Lebensqualität von Ines Mix leidet erheblich. „Ich konnte nicht lange stehen, nicht lange sitzen, nicht lange liegen, alles tat nur weh.“ Treppensteigen kann sie nur noch mit Hilfe, sie nimmt Schmerzmittel in immer höheren Dosen.
Und Ines Mix ist ständig krankgeschrieben. Sie seufzt: „Ich bin eigentlich mit Leib und Seele Verkäuferin und hab gerne in meinem Beruf gearbeitet. Aber es ging mit dem Knie irgendwann nicht mehr.“ Sie arbeitet noch kurze Zeit in einem Steuerbüro in einem 400-Euro-Job, aber auch das muss sie aufgeben. 2011 – mit Anfang 40 – wird sie frühzeitig berentet. „Das will man in dem Alter eigentlich nicht.“
Nebenbei zieht sie zusammen mit ihrem Mann zwei Kinder groß. Sie sind zum Zeitpunkt des folgenschweren Unfalls noch unter 10 Jahre alt – eine erhebliche Doppelbelastung. Sie berichtet von einer schweren Zeit: „Man kommt sich immer so vor, als würde man die anderen bremsen, und das will man ja nicht.“ Und: Das Knie wird immer schlimmer. „Den letzten Urlaub, bevor mir das erste künstliche Gelenk eingesetzt wurde, habe ich im Rollstuhl verbracht.“
Risikoreiche Operation
2013 fällt schließlich die Entscheidung für ein künstliches Kniegelenk. Der Eingriff ist riskant und schwierig, denn durch den Unfall und die zahlreichen Operationen war ein Großteil der Knochenstruktur zerstört worden. Ines Mix erinnert sich: „Der Arzt hat selbst gesagt, dass er Respekt vor der OP hat, da schon so viel am Knie kaputt war.“
Aber es gibt keine Alternative, die OP wird gemacht. „Leider ohne Erfolg“, die Resignation ist Ines Mix anzuhören. Trotz Reha und intensiver Physiotherapie hat sie weiterhin starke Schmerzen, nimmt weiterhin hochdosierte Opiate. „Es war nicht besser als zuvor, es war eher schlimmer.“ Sie kann ihr Knie trotz der OP nicht weiter als 65 Grad beugen.
In Grad wird gemessen, wie groß der Bewegungsumfang eines Gelenkes ist. Etwa wird ein voll ausgestrecktes Knie mit 0 Grad bezeichnet, die maximale Beugung beträgt bei gesunden Menschen in der Regel 130 Grad, bei jungen und fitten Menschen sogar bis zu 160 Grad. Um auf einer ebenen Fläche problemlos laufen zu können, braucht es eine Beugung von etwa 70 Grad, beim Treppensteigen rund 90 Grad. Will man von einem tiefen Sessel oder einem Toilettensitz aufstehen, braucht es bereits 120 Grad.
Kann das Knie nicht ausreichend gebeugt werden, bedeutet das für den Alltag erhebliche Einschränkungen. Ines Mix veranschaulicht das Problem: „Ziehen Sie sich mit 60 Grad Beugung mal eine Hose oder Socken an. Oder schneiden Sie sich die Fußnägel. Ein- und Aussteigen aus dem Auto war jedes Mal eine Katastrophe. Und auch Treppen kann man so nicht ohne Hilfe steigen. Es sind viele Kleinigkeiten und am Tag summiert sich das.“
Hinzu kommt bei ihr die psychische Belastung. Sie sagt: „Ich habe den Fehler bei mir selbst gesucht, denn das Knie war ja operiert und hätte gut sein müssen.“ Mehr als vier Jahre lang lebt sie mit den Schmerzen und Einschränkungen, kommt mehrfach an den Punkt, wo sie nicht mehr kann. „Zum Glück hatte ich super Menschen um mich, die zu mir stehen und mir durch diese Jahre geholfen haben“, sagt sie.
Endlich ohne Schmerzen
2018 geht der Orthopäde in Ruhestand, bei dem Ines Mix zuletzt in Behandlung war. Ihrem neuen Arzt schildert sie ihr Leid, er schaut sich noch einmal die Röntgenaufnahmen an und untersucht das operierte Knie. Sie erzählt: „Er meinte zu mir: Das kann ja nicht gehen.“
Der Arzt erkennt auf den Bildern, dass das künstliche Gelenk nicht richtig sitzt und zu groß ist. Ines Mix erläutert: „Dadurch rutschte die Kniescheibe immer nach außen und das Knie ging nicht zu beugen. Und auch die Schmerzen kamen daher.“
Die Aussagen des Arztes sind ein Befreiungsschlag für die damals 50-Jährige. „Ich könnte ihn dafür heute noch küssen“, lacht sie. Zufällig erfährt sie kurze Zeit später von Professor Dr. Heiko Graichen, einem Spezialisten in Bayern. Sie nimmt den weiten Weg von Berlin aus auf sich und lässt ihr Knie von Professor Graichen in Lindenlohe erneut untersuchen. Das Urteil des Arztes ist eindeutig, Ines Mix erinnert sich: „Er hat sofort gesagt: Das muss raus und ein neues Gelenk muss rein.“ Sie ist trotzdem zunächst hin- und hergerissen. „Ich habe mich gefragt, ob das wirklich sein muss, schon wieder eine OP“, berichtet sie. „Und natürlich hatte ich auch Angst. Aber so bleiben konnte das Knie natürlich auch nicht.“
Sie entscheidet sich letztlich dafür – und bereut es keine Sekunde. „Ich hatte gleich nach der OP ein gutes Gefühl“, strahlt sie. Professor Graichen navigiert in der Knie- Endoprothetik, um neben einem guten Sitz der Prothese auch eine ausbalancierte Bandspannung sicherzustellen. Er setzt Ines Mix eine Knie-Prothese ein, die aufgrund ihrer Eigenschaften Beugung und „Stabilität in der Bewegung“ bieten kann. Sie bleibt zwei Wochen im Krankenhaus, macht danach eine mehrwöchige Reha. Die richtigen Fortschritte, sagt sie, kamen in der Physiotherapie nach der Reha. Sie geht bis heute dreimal die Woche zu einem Physiotherapeuten. Sie schwärmt: „Ich habe hier einen tollen Therapeuten, der nach all den Jahren schon fast zur Familie gehört. Er schaut genau, was ich brauche und geht auf mich ein.“
Inzwischen kann sie das Knie zu 100 Grad beugen. „Das sind Welten im Vergleich zu vorher.“ Alltägliche Dinge wie eine Hose anziehen, ins Auto einsteigen oder Treppensteigen sind keine großen Probleme mehr für sie. Sie nimmt auch keine Opiate gegen die Schmerzen mehr – deren Nebenwirkungen sie mit weiteren Medikamenten mildern musste. „Die vielen Tabletten, das ist jetzt erst mal weg“, sagt sie erleichtert. „Wobei ich langfristig nicht ganz ohne Schmerzmittel auskommen werde, aber es wird deutlich weniger werden.“
Neue Ziele
Und sie hat sich für 2019 weitere Ziele gesteckt: „Ich will bis Ende des Jahres das Knie 120 Grad beugen können. Dann kann ich nämlich wieder Fahrradfahren. Und ich will zumindest wieder einen Minijob machen können. Ich bin 51, ich gehöre nicht 24 Stunden am Tag ins Haus!“
Anderen Patienten etwas zu raten, fällt ihr nicht leicht. Ihre Geschichte ist zu individuell. „Ich kann jedem nur empfehlen, eine Zweitmeinung einzuholen. Auch Ärzte können sich mal irren. Und man muss einen Arzt finden, der auf das Gebiet spezialisiert ist und dem man vertraut.“ Außerdem: „Den Mut nicht verlieren, das halte ich für wichtig“, sagt sie nach weiterem Nachdenken. „Und Hilfe annehmen, ob von Ärzten, Psychotherapeuten oder von der Familie.“